Im Maschinenraum des Kaiserreichs

Von Katja Goebel

Wie erlebten die Menschen an Rhein und Ruhr die Zeit des Aufbruchs und dann den Ausbruch des Ersten Weltkriegs? Welche Folgen hatte er für die Region? Die Essener Ausstellung "1914 - Mitten in Europa" will nicht nur Krieg abbilden, sie zeigt ein Epochenbild, beschreibt eine Region, die Täter und Opfer gleichermaßen war.

Arbeiter bei der Herstellung von Geschützrohren

Wie in kaum einer anderen Region Deutschlands erlebten die Menschen an Rhein und Ruhr den Aufbruch in die Moderne am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Hier - in der preußischen Provinz - nahm die Industrialisierung einen geradezu rasanten Verlauf. "Technologisch war die Region Avantgarde und sie war das Machtzentrum des Kaiserreichs", sagt Walter Hauser, Direktor des LVR-Industriemuseums. Und gerade deshalb begibt sich die Ausstellung "1914 - Mitten in Europa" auch ausgerechnet hier auf Spurensuche. Sie zeigt eine Moderne zwischen Avantgarde und Aggression, Erneuerungsdrang und Zerstörungswut. Am Ende wurde die Region schließlich zur Waffenschmiede des Reiches, in der ein Großteil der Munition für den Krieg hergestellt wurde.

Wie in kaum einer anderen Region Deutschlands erlebten die Menschen an Rhein und Ruhr den Aufbruch in die Moderne am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Hier - in der preußischen Provinz - nahm die Industrialisierung einen geradezu rasanten Verlauf. "Technologisch war die Region Avantgarde und sie war das Machtzentrum des Kaiserreichs", sagt Walter Hauser, Direktor des LVR-Industriemuseums. Und gerade deshalb begibt sich die Ausstellung "1914 - Mitten in Europa" auch ausgerechnet hier auf Spurensuche. Sie zeigt eine Moderne zwischen Avantgarde und Aggression, Erneuerungsdrang und Zerstörungswut. Am Ende wurde die Region schließlich zur Waffenschmiede des Reiches, in der ein Großteil der Munition für den Krieg hergestellt wurde.

Die Schau in Essen ist nicht nur die größte Ausstellung zum Ersten Weltkrieg in Deutschland. Die Co-Produktion von LVR-Industriemuseum und Ruhrmuseum hat mit der Kokerei Zollverein auch den spektakulärsten Ausstellungsraum zu bieten. Um in die ehemalige Mischanlage zu gelangen, gelangt der Besucher über eine Stand-Seilbahn in die riesigen Bunkeranlagen des ehemaligen Kohlespeichers. Dann öffnet sich eine Ausstellungsfläche auf 2.500 Quadratmetern mit 2.500 Exponaten.

Die Ausstellungsmacher interessiert dabei nicht so sehr das Kriegsgeschehen an der Front. Sie fragen vielmehr, was die Voraussetzungen, Auswirkungen und Folgen des Krieges in der Rhein-Ruhr-Region waren und richten den Fokus auf die dramatischen gesellschaftlichen Umwälzungen in der damals größten Industrieregion Europas. "Es ist eine Ausstellung über eine Region, die Täter- und Opferregion geworden ist", sagt Heinrich Theodor Grüter, Direktor des Ruhrmuseums. Die Ausstellung sei eine "kulturhistorische Schau".

Der Beginn des Ausstellungsrundgangs wirkt geradezu optimistisch. Schließlich hatte das 19.Jahrhundert ungeahnte Fortschritte in Wissenschaft und Technik gebracht. Wunderwerke gibt es zu bestaunen - wie den Radsatz der Wuppertaler Schwebebahn, die 1901 in Betrieb ging (Bild) oder das 1903 gefertigte Elektroauto "Runabout", das schon vor dem Krieg im Ruhrgebiet gefahren wurde.

Moderne Produktverpackungen und Werbeplakate sind ein Beweis dafür, dass die Menschen plötzlich mehr verdienten und konsumieren konnten - statt sich nur selbst zu versorgen. Schon in der dritten Generation kannten die Menschen keinen Hunger mehr. Warenhäuser expandierten.

Die geografische Lage begünstigte den Handel. Allein im Ruhrgebiet wurden 60 Prozent der deutschen Steinkohle abgebaut. (im Bild oben: Marken der Bergleute). Firmen fusionierten. So entstanden plötzlich Großkonzerne, die zum Beispiel Seekabel im großen Stil (im Bild unten) herstellten. Die Wasserversorgung wurde durch Talsperren gesichert, die Emscher als Abflussrinne genutzt.

Doch dann entfesselt der Erste Weltkrieg eine Kriegsmaschinerie, die Tod und Zerstörung in bis dahin unvorstellbarem Ausmaß zulässt. Das rheinisch-westfälische Industriegebiet ist das Zentrum der Rüstungsindustrie. Auch die vier Tonnen schwere Feldhaubitze der Firma Krupp ist in der Ausstellung zu sehen.

Die Rhein-Ruhr-Region ist dabei nicht nur Waffenproduzent, sondern auch Aufmarschgebiet für den Krieg im Westen. Viele Soldaten sterben dennoch nicht nur im Kugelhagel, sondern an Infektionskrankheiten, weil es keine ausreichende Nahrung oder Bekleidung für sie gibt.

"Der Erste Weltkrieg war kein ritterlicher Krieg, und in ihm fielen mitten in der Moderne, mehr denn je zivilisatorische Schamgrenzen bei der Anwendung von Gewalt", so Heinrich Theodor Grüter.

Schon bald nach dem Ausbruch des Krieges müssen Lazarette ein ganzes Heer von Verwundeten versorgen. Das Rote Kreuz betreibt Verbandsstationen und Genesungsheime. Allein bis Juli 1918 werden über 700.000 Männer als "dienstunbrauchbar" aus dem Heer entlassen. Krücken und Prothesen werden massenhaft benötigt.

Hungernde Bürger, darunter auch Kinder, müssen auf "Hamstertour", um Hab und Gut gegen Lebensmittel zu tauschen. Lange Warteschlangen vor den Geschäften prägen nun das alltägliche Bild auf der Straße. In Essen und anderen Städten werden kommunale Kriegsküchen eingerichtet.

Und noch heute lässt sich tonnenweise Waffenschrott des Ersten Weltkrieges finden - wie die Schau eindrucksvoll zeigt.

Über drei Stockwerke erstreckt sich die Essener Ausstellung in der gigantischen Mischanlage. Und manchmal weiß der Besucher nicht recht, ob er einem Ausstellungsexponat gegenübersteht oder einem Maschinenteil der alten Kokerei. Beklemmend wird es in der Bunkerebene der Mischanlage. Hier, in dem düsteren Teil des Gebäudes mit seinen grauen Betonwänden, sind thematisch die Jahre 1914 bis 1918 der Ausstellung untergebracht.

In der "Trichterebene" der ehemaligen Mischanlage werden die Folgen des Krieges beleuchtet. Gewalterfahrungen, Hunger und Armut prägen den Alltag in der Region noch lange Zeit. Ruhig wird es nach Kriegsende nicht. Schon 1920 wird die Region mit dem Ruhrkampf zum Zentrum der revolutionären Bewegung.

Aber auch der Aufbruch in Technik, Wissenschaft oder Architektur sind Facetten der "entzauberten Moderne". Das Bild zeigt einen Dampfkochtopf aus der Nachkriegszeit.

Mit Perlen bestickte Charlestonkleider im Art-Déco-Stil lassen Besucher in den veränderten Lebensstil während der Weimarer Republik eintauchen. 250 Leihgeber haben unter anderem Exponate für die Ausstellung bereit gestellt. Die umfangreiche Schau ist bis 26. Oktober 2014 in der Essener Kokerei Zollverein zu sehen.

Stand: 29.04.2014, 18:00 Uhr