Contergan-Opfer im  Landgericht Köln

Aufruf zum Boykott erlaubt

Stand: 24.06.2009, 19:03 Uhr

Contergan-Opfer dürfen seit Mittwoch (24.06.2009) wieder zum Boykott gegen Produkte der Unternehmerfamilie Wirtz aufrufen. Das Kölner Landgericht hat seine einstweilige Verfügung gegen den Boykott aufgehoben.

Mehr als 50 Jahre nach der Markteinführung des Schlafmittels Contergan haben Opfer des Arzneimittel-Skandals einen Rechtsstreit gegen die Unternehmerfamilie Wirtz gewonnen. Der Familie gehört der Contergan-Hersteller Grünenthal und die Dalli-Gruppe, die Waschmittel und Kosmetika herstellt. Der Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer (BCG) darf wieder zum Boykott von Produkten von Grünenthal und der Dalli-Gruppe aufrufen. Das Gericht habe Zweifel, dass die Dalli-Gruppe erst 2009 von dem schon 2007 ergangenen Boykottaufruf gewusst habe, begründete die Richterin ihr Urteil. Dalli will gegen die Entscheidung rechtlich vorgehen.

Es drohten 250.000 Euro Ordnungsstrafe

Der "Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer" (BCG) hatte im Oktober 2007 zu einem Boykott gegen eine Reihe von Produkten der Unternehmer-Familie Wirtz aufgerufen. Anlass war der 50. Jahrestag der Markteinführung des thalidomidhaltigen Schlaf- und Beruhigungsmittels Contergan. Die betroffenen Unternehmen klagten gegen den Boykottaufruf und erreichten im Februar 2009 eine einstweilige Verfügung. Bei jedem weiteren Boykottaufruf drohten dem BCG und seinem Vorsitzenden Andreas Meyer danach Ordnungsgeldstrafen bis 250.000 Euro oder ersatzweise sechs Monate Ordnungshaft. Diese Drohung ist mit dem neuen Urteil nun aufgehoben.

Geschäftsführer sieht Angriff auf Arbeitsplätze

Ulrich Grieshaber, Geschäftsführer einer von dem Boykottaufruf betroffenen Unternehmensgruppe, begründete die gerichtlichen Schritte gegen die Conterganopfer mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen. Der Aufruf richte sich "gegen unser Unternehmen und unsere 2.000 Mitarbeiter, die zu keinem Zeitpunkt thalidomidhaltige Produkte erforscht, entwickelt, produziert oder vertrieben haben." In der allgemein schwierigen Wirtschaftslage werde man "alles Erdenkliche tun, um die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter zu sichern und zu schützen."

"Ich lasse mir den Mund nicht verbieten"

Für Andreas Meyer dagegen ist eine "unmittelbare Gefährdung hunderter Arbeitsplätze durch den Boykottaufruf nicht in Sicht." Seine Organisation fordert als Schadensausgleich für die Ursprungs- und Folgekosten der Behinderungen insgesamt acht Milliarden Euro für die rund 2.700 noch lebenden Contergan-Opfer. Eine 2008 angekündigte freiwillige Entschädigungszahlung der Firma Grünenthal in Höhe von 50 Millionen Euro bezeichnete Meyer als "Verhöhnung der Opfer".

Es stehe der "Wirtz-Familie frei, zur Begleichung der conterganbedingten Ursprungs- und Folgeschäden einen zinslosen Kredit bei der KfW-Bank aufzunehmen," sagte Meyer. In dem Fall wäre er "der Erste, der zum Kauf der Produkte dieser Firma aufrufen würde."