Schäden durch Braunkohle-Tagebau
Das Problem mit der Beweislast
Stand: 01.09.2012, 06:00 Uhr
Am Samstag vor zwei Jahren (01.09.2010) nahm die Anrufungsstelle Bergschaden Braunkohle in Köln die Arbeit auf. Ein Richter soll für gerechten Ausgleich zwischen dem RWE-Konzern und mutmaßlich geschädigten Hausbesitzern sorgen. Aus deren Sicht ist die Bilanz nach zwei Jahren recht trüb.
Von Stefan Michel
Tagebau Hambach: das größte und mit 400 Meter auch tiefste Braunkohle-Förderloch in Deutschland, betrieben von RWE Power. Um es trocken zu halten, müssen jedes Jahr Hunderte Millionen Kubikmeter Wasser abgepumpt werden. Der Grundwasserspiegel ist abgesunken und mit ihm der Baugrund unter den Straßen und Gebäuden in der Umgebung. Schäden entstehen dabei vor allem, wenn es im Untergrund „tektonische Störungen“ gibt; vertikale Risse. Dann kann sich der Grund auf einer Seite des Risses stärker absenken als auf der anderen. Oder wenn sich unter Gebäuden eine „Torflinse“ befindet: Bei sinkendem Grundwasser schrumpft der Torf stärker, als sich der Boden rundherum senkt.
Mauerrisse durch Gärtnerarbeit?
Geschädigter Gerd Jochims
Anderthalb Kilometer vom Tagebau entfernt, in Niederzier, liegt das Haus der Jochims. Daumenbreite Risse klaffen in der Umfriedungsmauer, feinere Risse in Sockel und Wänden des Hauses. Das Pflaster vorm Haus und der Garten sind bucklig geworden. Im Frühling 2010 beantragte Gerd Jochims "bei unserem Nachbarn RWE" Entschädigung. Erste Reaktion des Konzerns: "Wir waren es nicht", erinnert er sich. Als Gründe für die Schäden habe ihm RWE vielmehr Spannungen zwischen den verschiedenen Baumaterialien des Hauses genannt. Und: Der Baugrund sei nicht ausreichend verdichtet worden. "Dass es 40 Jahre lang keine Veränderungen auf unserem Grundstück gab, interessiert die nicht. Einem unserer Nachbarn haben sie gesagt, die Risse in seiner Garagenmauer seien dadurch entstanden, dass er zwei Mal im Jahr mit dem Spaten sein Gemüsebeet umgräbt." Dazu sagt der bei RWE zuständige Bereichsleiter Alois Herbst zu WDR.de: "Nach dem Urteil unserer Fachleute liegt hier objektiv kein Bergschaden vor." Aussagen der RWE-Experten zu möglichen anderen Ursachen seien „immer auch eine Empfehlung an den Betroffenen: Guck doch mal nach, das könnte daran oder daran liegen.“
Typisch RWE, meint die Rechtsanwältin Doris Vorloeper-Heinz, die außer den Jochims noch zahlreiche andere mutmaßlich Geschädigte im Braunkohlerevier zwischen Mönchengladbach und Euskirchen vertritt: "In der Regel werden vorhandene Beweismittel ignoriert und komplett infrage gestellt." RWE-Bereichsleiter Alois Herbst meint zu diesen Vorwürfen, dass RWE selbst über das Fachwissen verfüge, um die Schadensursachen richtig einzuschätzen. Herbst: „In weit über 20 Fällen liegen Gutachten von Fachbehörden vor, und die haben bislang ausnahmslos unsere Bergschadensbearbeitung bestätigt.“
"Wenig Spielraum für echte Schlichtung"
Jochims Verfahren liegt jetzt in der Anrufungsstelle in Köln, als eines von mehreren Dutzend. Auch Gerd Linneweber, über dessen Fall WDR.de vor zwei Jahren berichtete, wartet jetzt auf einen Schlichterspruch aus Köln. Linneweber kämpft schon seit 20 Jahren vergebens darum, dass RWE für die gravierenden Schäden an seinem Wohnhaus in Jülich aufkommt. Das wird er wohl noch nicht so bald erleben. "Die Beweiserhebung geht in den Schlichtungsverfahren in Köln mitunter schon über zwei Jahre", kritisiert Rechtsanwältin Vorloeper-Heinz. Und wenn RWE dann doch zahlt, "ist der Schadenersatz im Vergleich zur Schadenshöhe gering. Die Gutachten und das ganze Verfahren verschlingen mehr Geld, als am Ende ausgezahlt wird."
Schlichter Debusmann
Modell für die "Anrufungsstelle Bergschaden Braunkohle" bei der Bezirksregierung in Köln war die Schlichtungsstelle für Schäden durch den Steinkohle-Bergbau in Essen, die es seit April 2009 gibt. Beide Schlichtungsstellen bestehen aus einem Vertreter der Bergbaufirmen, einem Vertreter der Geschädigten und einem Berufsrichter. Der Richter ist derselbe wie in Essen und in Köln: Der frühere Präsident des Oberlandesgerichts Gero Debusmann. "Bei der Steinkohle wird der ganz überwiegende Teil der Verfahren ohne Gutachten erledigt", erklärt Debusmann. Nach einem "mehr oder weniger ausführlichen Gespräch" einige man sich in Essen zumeist auf "eine faire Schlichtung". Bei der Braunkohle dagegen "geht es um 100 Prozent oder gar nichts", so Debusmann. In Köln gebe es "wenig Spielraum für echte Schlichtung", pflichtet Heribert Hundenborn von der Bezirksregierung bei.
Bundesgesetz schafft Ungleichheit
Dass RWE so wenig Kompromissbereitschaft zeigt, verglichen mit den Ruhrkohle-Betrieben, hat seinen Grund im Paragrafen 120 des Bundesberggesetzes: Wenn im "Einwirkungsbereich" des Bergbaus ein Schaden auftritt, heißt es da "so wird vermutet, dass der Schaden durch diesen Bergbaubetrieb verursacht worden ist". Der Bergbaubetrieb muss das Gegenteil beweisen, wenn er nicht zahlen will. Das gilt aber nur für den Bergbau unter Tage, nicht für den Tagebau. In Köln liegt deshalb die Beweislast bei den Geschädigten, nicht bei RWE Power. Rot-Grün in Düsseldorf will das ändern. Laut Koalitionsvertrag soll über den Bundesrat "die Umkehr der Beweislast für Bergschäden im rheinischen Braunkohlerevier" erreicht werden. "Unmittelbar nach der Sommerpause", findet der Grünen-Abgeordnete Reiner Priggen, "sollte die Arbeit an dieser Bundesratsinitiative erfolgen."