Das Land, das Loch und der Schaden
Zivilprozess um Bergschaden in Siegen
Stand: 13.03.2012, 15:51 Uhr
Im Februar 2004 stürzte in Siegen ein altes Bergwerk ein, während das Bergamt die Stelle gerade sichern wollte. Ein Mehrfamilienhaus wurde zur Ruine. Nach acht Jahren Rechtsstreit darüber ist jetzt ein Vergleich in Sicht: Das Land könnte einen Teil des Schadens ersetzen.
Von Stefan Michel
"Der Kläger sollte noch nicht die Sektkorken knallen lassen", warnt Richterin Anne Neumann am Dienstag (13.03.2012) im Landgericht Siegen. Dann wird sie in Richtung der Beklagten sehr deutlich: Wenn das Land NRW sich nicht auf einen Vergleich mit dem geschädigten Hausbesitzer einlässt, wird das Gericht die Beweislast zu Lasten des Landes umkehren. Zu gut Deutsch: Das Land müsste beweisen, dass irgendwann in jedem Falle ein Bergschaden das Haus des Klägers zerstört hätte, auch völlig ohne jedes Zutun des staatlichen Bergamtes, weil die alte Grube unter dem Haus auch von alleine eingestürzt wäre. Da dieser Beweis praktisch unmöglich ist, kann das Land diesen Prozess kaum gewinnen.
Tagesbruch unter den Augen des Bergamtes
Die Geschichte dieses Rechtsstreits beginnt im Februar 2004: Zwischen zwei Gebäuden eines Häuserblocks in der Siegener Gläserstraße haben sich Daumen breite Risse gebildet, vom Fundament bis zur Dachkante. Der Hausbesitzer, die Wohnungsverwaltung Siegfried Runkel GbR, ruft Mitarbeiter des Bergamtes Recklinghausen herbei. Sie arbeiten ohnehin ganz in der Nähe an der Sicherung eines alten Bergwerks. Schäden durch den Einsturz alter Stollen und Schächte sind nämlich in Siegen keine Seltenheit, im Stadtviertel Rosterberg schon gar nicht. Um die Ursache der Risse zu finden, lässt das Bergamt neun Löcher rund ums Haus bohren, trifft auf einen Hohlraum, pumpt Beton hinein, um ihn zu füllen. Am 14. Februar gibt der Boden unter dem Haus Nummer 112 plötzlich nach, eine Hausecke bricht ab und stürzt in den Tagesbruch-Trichter, das ganze Haus neigt sich Hang abwärts. Wegen Einsturzgefahr unbewohnbar, der Schaden irreparabel, so steht die Ruine nun seit acht Jahren da. Monatelang versucht der Eigentümer, das Land NRW außergerichtlich zu Schadenersatz zu bewegen - vergebens: Im September 2004 verklagt er das Land auf Zahlung von 830.000 Euro plus Ausgleich für noch nicht absehbare künftige Schäden.
Genauer als "wahrscheinlich" geht nicht
Am voraussichtlich letzten Verhandlungstag hat zunächst der Sachverständige das Wort, der Markscheider (Bergbauingenieur) Jörg Fugmann aus Karlsruhe, der in diesem Verfahren bereits drei schriftliche Gutachten vorgelegt hat. Haben die Sicherungsarbeiten des Bergamtes den Tagesbruch vom 12.2. mit verursacht, wie der Kläger behauptet? "Sehr wahrscheinlich." Aber das Haus selbst, fahrlässig auf lockeren Grund gebaut, habe mit seinem Gewicht ebenfalls zum Einsturz der Grube beigetragen. Wäre die Grube auch ohne den Einsatz des Bergamtes eingestürzt und hätte das Haus beschädigt? "Sehr wahrscheinlich", das heiße, zu mindestens 75 Prozent. Und wann wäre das geschehen? "Reine Spekulation", vielleicht einige Wochen nach dem 12.2., vielleicht Monate, vielleicht auch erst 40 Jahre später.
Kompromissbereitschaft nach acht Jahren
830.000 Euro Schadenersatz fürs zerstörte Sechsfamilienhaus sei zu hoch gegriffen, verdeutlicht die Richterin. Das Gebäude sei ja durch die Risse schon beschädigt gewesen, bevor das Bergamt anrückte. Ein weiterer Abschlag sei fällig, weil der Hausbesitzer wusste, dass er das Haus 1965 auf lockerem Erdreich und über einer alten, verfallenden Grube errichtete, fordert der Anwalt des Landes, Jürgen Glückert. In der Tat hätte für dieses Gelände niemals eine Baugenehmigung erteilt werden dürfen, aber dafür ist die Stadt Siegen verantwortlich, und die spielt in diesem Prozess keine Rolle. Neu ist aber an diesem Verhandlungstag, dass die Beklagtenseite überhaupt über einen Vergleich redet. Ein solcher Kompromiss bedeute kein Schuldeingeständnis des Landes, tröstet die Richterin. Nach dem Ordnungsbehördengesetz müsse das Land auch dann für den Schaden gerade stehen, wenn sein Bergamt fehlerfrei gearbeitet hat. Seine Auftraggeber davon zu überzeugen, werde mühsam, stöhnt Anwalt Glückert: "Das Land NRW hat wenig Geld, und die Bergbehörde hat viele Baustellen." Trotzdem vereinbaren Kläger und Beklagte, sich binnen acht Wochen über einen Vergleich zu verständigen. Das Ende des Verfahrens soll am 22. Mai verkündet werden.