Nicolas Berggruen vor Demonstranten in Berlin

Karstadt-Eigentümer Nicolas Berggruen

Das große Karstadt-Missverständnis

Stand: 09.07.2014, 10:52 Uhr

Vom herbeigesehnten Retter zum Sündenbock: Nachdem am Montag (07.07.2014) Karstadt-Managerin Sjöstedt mangels Rückhalt kündigte, droht das Image von Eigentümer Nicolas Berggruen nun arg ramponiert zu werden. Doch dies ist lediglich die Folge eines großen Missverständnisses.

Von Petra Blum

Einen eiskalten Investor stellt man sich wohl anders vor – der Deutschamerikaner Nicolas Berggruen gilt international als passionierter Kunstmäzen, Philanthrop und Weltverbesserer. Der 52-Jährige wirkt jungenhaft, fast schüchtern – und das, obwohl er mit seiner Berggruen Holdings das ganz große Rad mit Firmenbeteiligungen dreht. Sein Vermögen wird auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt.

Weißer Ritter Berggruen

Seinen Reichtum merkt man ihm jedoch kaum an. Als er am 2. September 2010 mit der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf der Rolltreppe in den sechsten Stock des Karstadt-Hauses am Berliner Kurfürstendamm fuhr, um anschließend die Rettung der insolventen Warenhauskette Karstadt und seine Übernahme zu verkünden, wirkte er unprätentiös, rang sich sogar ein paar Sätze auf Deutsch ab. Die Herzen flogen ihm nur so zu. Nicht nur die Politik, auch die Gewerkschaft Verdi war sich sicher, dass er der richtige sei, um das Traditionsunternehmen vor dem Untergang zu bewahren. Berggruen präsentierte sich als der typische weiße Ritter, als Sanierer mit Herz, der bereit ist zu investieren. Die Investments seines Unternehmens seien oft sozial und kulturell motiviert, schreibt Berggruen Holdings auf der Firmenhomepage. Karstadt als Ganzes erhalten, möglichst keine Stellenstreichungen, keine Häuser schließen, so lautete seine Vision, mit der er 2010 den Zuschlag für Karstadt bekam.

Karstadt - wirtschaftlich am Abgrund?

Doch vier Jahre später ist aus der Vision nicht viel geworden. Die Warenhauskette hat laut übereinstimmenden Medienberichten noch immer mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen, bis zu 2.000 Mitarbeiter müssen gehen, die Filetstücke, die Sport- und Premiumhäuser, sind zu 75 Prozent verkauft. "Karstadt geht es schlechter, als man zunächst angenommen hatte", sagt Gerd Hessert, Lehrbeauftragter Handelsmanagement der Universität Leipzig. Jetzt ist auch noch der Chefposten ein Schleudersitz geworden, nachdem die Hoffnungsträgerin Eva-Lotta Sjöstedt vor wenigen Tagen das Handtuch warf. Und der Investor? Der damalige Liebling der Medien ist scheu geworden, mag sich kaum noch zu seinem Engagement bei Karstadt äußern. Eine Anfrage von WDR.de blieb unbeantwortet.

Hätte man Berggruen auch als Investor willkommen geheißen, wenn er sich als klassischer Hedgefonds oder Private Equity-Kapitalgeber präsentiert hätte, so wie seine damaligen Mitbieter um Karstadt? Womöglich nicht. Hedgefonds werden in Deutschland als "Heuschrecken" gesehen, die Firmen kaufen, um sie auszupressen. In den USA, wo Berggruen sein Vermögen gemacht hat, gibt es ein derart mieses Image von Finanzholdings jedoch nicht - und hier liegt das eigentliche Missverständnis begraben. Denn Berggruens Geschäft ist es, Firmen zu kaufen, sie wieder zu verkaufen und damit Geld zu verdienen. Aus amerikanischer Sicht ist das keineswegs verwerflich, und nichts anderes hatte er mit Karstadt geplant. Karstadt sei keine große Herausforderung, hatte er damals der Presse gesagt. Es sei das Gleiche, was er mit mindestens 20 anderen Firmen schon gemacht habe. Es werde auch diesmal funktionieren.

Zahlreiche Bitten um Geld blieben ungehört

Und funktioniert hatte das schon oft: In jungen Jahren hatte der Sohn des Berliner Galeristen, Kunstsammlers und Mäzens Heinz Berggruen in New York heruntergekommene Häuser erstanden, saniert und mit Gewinn verkauft. Später hatte er einen Hedgefonds, der sich an erfolgreichen Hedgefonds beteiligte. Und die Berggruen Holdings begann, direkt in Unternehmen zu investieren. So erwarb Berggruen etwa vor zehn Jahren einen amerikanischen Sonnenbrillenhersteller für acht Millionen Dollar. Sechs Jahre später verkaufte er die Firma - für 400 Millionen Dollar.

Mit Karstadt scheint sich Berggruen jedoch grundlegend vertan zu haben. Den Reformstau bei der insolventen Arcandor-Tochter und den brutalen Wettbewerb im deutschen Einzelhandel hatte er wohl unterschätzt. Bald machte sich auch das Missverständnis bemerkbar: Arbeitnehmer von Karstadt und Gewerkschaften forderten immer wieder Investitionen des Eigentümers in sein Unternehmen – doch zu der Strategie einer klassischen Finanzholding, wie Berggruen Holdings sich selbst bezeichnet, wollte das wohl nicht recht passen. Und so gab Berggruen stattdessen die Parole aus, Karstadt müsse aus eigener Kraft den Turnaround schaffen, die dringend nötigen Modernisierung der Häuser sollte aus dem laufenden Geschäft finanziert werden.

Nicolas Berggruen übernimmt Karstadt (am 8.6.2010)

WDR ZeitZeichen 08.06.2015 14:49 Min. Verfügbar bis 05.06.2025 WDR 5


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Das Image bröckelt

Stück für Stück büßte Berggruen an Glaubwürdigkeit ein, als seine Strategie sich immer mehr als die eines Hedgefonds entpuppte: Er heuerte mit Thomas Fox und Andrew Jennings Übergangs-Manager an, die versuchen sollten, bei Karstadt die Kosten zu reduzieren. Medien berichteten wiederholt, er versuche, Geld aus dem Unternehmen zu ziehen. Die profitablen Teile hat Berggruen zu rund 75 Prozent bereits weiter verkauft. "Das bedeutet faktisch die Zerschlagung des Unternehmens", sagte der Karstadt-Aufsichtsrat der Gewerkschaft Verdi, Arno Peukes, als die Sport- und Premiumhäuser mehrheitlich an die Signa Holding von René Benko gingen. Man warf Berggruen nicht nur in den Medien Wortbruch vor. Von Sanierer mit Herz oder weißem Ritter war keine Rede mehr, von nun an galt er vor allem bei Arbeitnehmern und Gewerkschaftern als kalter Investor.

Berggruen räumt Fehler ein

Einkaufstaschen von Kaufhof und Karstadt

Kunden kommen immer weniger zu Karstadt

Dass er seine eigene Entscheidung, Karstadt zu kaufen, inzwischen kritisch sieht, überrascht nicht: "Ich war nicht klar genug und als Geschäftsmann zu weich", sagte er im Februar diesen Jahres in einem seiner seltenen Interviews der Süddeutschen Zeitung (SZ). Ihm sei es moralisch wichtig gewesen, kein Haus zu schließen und alle Mitarbeiter zu behalten, sagte er dem Blatt. Und: "Aber ein normaler Investor hätte sich ganz anders benommen, viel härter, er hätte einen Teil der Läden geschlossen oder verkauft. Oder gesagt: Braucht man so viele Mitarbeiter?"

Dass Berggruens Plan, Karstadts Modernisierung größtenteils aus den Mitteln des Unternehmens und aus dem Verkauf der beiden profitablen Sparten zu stemmen, bisher nicht aufgegangen ist, könnte jetzt zu einem noch größeren Imageschaden für den Eigentümer führen. Sollten Häuser in großem Stil geschlossen werden müssen oder das Karstadt-Stammgeschäft in eine Insolvenz schlittern, wäre die Enttäuschung angesichts Berggruens anfänglicher Versprechen wohl unermesslich. Aber vielleicht hat der Geschäftsmann Berggruen sich auch schon eine Brücke gebaut, um aus dem Dilemma zu entkommen. Der SZ sagte er auf die Frage, ob der umstrittene österreiche Unternehmer Benko Karstadt mit Kaufhof zusammenführen wolle: "Die Konstellation ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass Karstadt und das Warenhaus eine Zukunft haben. Wenn Signa dabei eine Rolle spielen kann, warum nicht."