Viele erinnern sich an Mehmet Kubaşık und an seine Frau, seine Kinder, seinen Kiosk, obwohl dort seit langer Zeit keine Kerzen mehr brennen. In der Dortmunder Mallinckrodtstraße wurde er am 4. April 2006 erschossen, als achter der neun mutmaßlichen NSU-Opfer. Die Nachbarschaft ist geprägt von lärmenden Hauptstraßen und türkischen Läden, Servat's Haarstudio, Fleischerei Amin, Reisebüro Göleli. Mehmet Kubaşıks Tochter Gamze, heute 26 Jahre alt, muss damals auf dem Rückweg von der Schule an ihnen vorbei geschritten sein. In der ARD-Talkshow von Günther Jauch erzählte sie im November 2011, sie wollte wie üblich ihren Vater im Laden ablösen. "Und da habe ich die Polizeisperrung gesehen, und dort habe ich das erfahren."
Viele Anwohner kannten Mehmet Kubaşık
Burhan, 19, der gerade sein Fachabitur macht und nebenbei seinem Vater im Kiosk aushilft, weist am Karfreitag (06.04.2012) den Weg zum Tatort: "Den kennen alle im Viertel." Heute sind die Jalousien heruntergelassen, der Laden ist aber nicht verwaist, er beherbergt einen türkischen Kulturverein. Agnes Thorn, eine Dame mit lila gefärbtem Haar, wohnt seit 14 Jahren auf der angrenzenden Schützenstraße und behauptet, ihr Exmann, Betreiber der Gaststätte Thüringer Hof, habe damals erste Hilfe geleistet. "Ich war oft in seinem Kiosk einkaufen, kannte ihn und die ganze Familie", sagt sie. Und Kudret Cayclus, 24 Jahre alt, erklärt, er sei mit seiner Tochter Gamze auf der Hauptschule Lützowstraße gewesen. Nach der Ermordung ihres Vaters sei sie mehrere Wochen nicht in der Schule erschienen. Überprüfen lässt sich das nicht.
"Ich weiß nichts von einer Feier"
So präsent die Kubaşıks in der Innenstadt-Nord sind, die Gedenkfeier in der Dortmunder Bittermark am Nachmittag ist es nicht. "Ich weiß nichts von einer Feier", sagt Sehriban Gineli, die im Viertel einen Kiosk betreibt. Kudret Cayclus bringt es auf den Punkt: "Ein Gedenkfeier in der Bittermark – was hat das mit uns zu tun?" Tatsächlich liegt das Mahnmal Bittermark rund zehn Kilometer entfernt in einem Waldstück im Dortmunder Südwesten. Die Stadt erinnert hier seit über 50 Jahren am Karfreitag an mehrere hundert NS-Zwangsarbeiter, die auf einer Waldlichtung ermordet wurden. Die zehn Neonazi-Opfer kommen nun zusätzlich dazu, 2.000 Besucher werden erwartet. Sprechen wird auch Gamze Kubaşık, die Tochter des Ermordeten. Sie werde den Bogen von den Gräueltaten der NS-Schergen bis zu den zehn Mordopfern der Neonazis spannen, heißt es in einer Erklärung der Stadt Dortmund. Auch die Bürgermeisterin Birgit Jörder (SPD) und der Dortmunder Ehrenbürger Ernst Söder werden auftreten.
Bodenplatte am Tatort
Damit ist der Fall Kubaşık für die Stadt Dortmund nicht erledigt. In wenigen Wochen wird die Bezirksvertretung Innenstadt-Nord in der Mallinckrodtstraße eine Bodenplatte aus grauem Granit einlassen: "Zum Gedenken an Mehmet Kubaşık, ermordet am 4. April 2006 durch rechtsextreme Gewalttäter." Ein weiterer Gedenkort soll am Leopoldplatz entstehen. "Genaue Pläne zur äußeren Form gibt es noch nicht, damit müssen sich nun die Lokalpolitiker befassen", erklärt Udo Bullerdieck von der Stadt Dortmund. Klar ist jedoch, dass am zweiten Gedenkort die gemeinsame Erklärung der sieben Städte der NSU-Opfer - Kassel, Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Heilbronn - erscheinen wird. Die Bemühungen der Stadt finden die Anwohner vorbildlich und angemessen. "Der Tod von Mehmet Kubaşık war purer Zufall, die Stadt kann nichts dafür", sagt Burhan, Sohn der Kioskbesitzers.
Kioskbesitzer in der der Nordstadt fühlen sich sicher
Er fühlt sich sicher im Laden, in dem er sich mit Vater und Bruder abwechselt, denn er hat an sieben Tagen in der Woche geöffnet, von sieben Uhr in der Früh bis ein Uhr nachts. "Alle Kunden sind höflich, wir wurden nie bedroht oder beschimpft." Auch Kioskbetreiberin Sehriban Gineli bestätigt das. Dreimal wurde der Laden des Nachts von Dieben ausgeräumt, Neonazis hat sie in den fünf Jahren als Inhaberin nie im Laden gesehen. "Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl, man weiß nie, was passiert. Dorstfeld ist nicht weit weg." Im Ortsteil Dorstfeld, westlich der Nordstadt gelegen, soll eine starke Neonazi-Szene aktiv sein. Im Jahr 2009 war eine Familie dort monatelangen Übergriffen ausgesetzt.
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