WDR.de: Sie fragen in Ihrem Film nicht nach den Rechtsterroristen, sondern wer ihre Opfer waren. Wie ist die Idee zu diesem Ansatz entstanden?
Eva Müller: Kurz nachdem bekannt wurde, dass die Anschläge vermutlich von Neonazis verübt worden waren, haben sich viele Medien reflexartig mit den Tätern beschäftigt. Über die Opfer wurde kaum berichtet. Es wurde nur aufgezählt: acht Türken, ein Grieche und eine Polizistin. So entstand bei uns die Idee, mit den Hinterbliebenen der Ermordeten und den überlebenden Opfern zu sprechen, ihnen eine Stimme zu geben. Anne Kathrin Thüringer, Matthias Deiß und ich haben uns gefragt, wer waren eigentlich die acht Türken, ein Grieche und die Polizistin? Und so kam der Film zustande.
WDR.de: Die mutmaßlichen Täter haben Schlagzeilen gemacht, nun bekommen die Opfer und ihre Angehörigen Aufmerksamkeit - ist die Idee vielleicht auch aus einem Gefühl der späten Gerechtigkeit entstanden?
Müller: Es wurde jahrelang berichtet und vermutet, dass die Morde innerhalb der türkischen Gemeinschaft stattgefunden haben. Das hatte zum Beispiel in der Kölner Keupstraße unglaubliche Konsequenzen: Die Frauen wurden von der Polizei sogar darauf hingewiesen, dass sie doch mal genauer schauen sollten, was ihre Männer im Laden so machen. Für die anliegenden Geschäfte hatte das wirtschaftliche Folgen - monatelang ist einfach niemand mehr gekommen, weil alle gedacht haben, in der Keupstraße findet ein Mafiastreit statt. Den überlebenden Opfern nun wenigstens die Möglichkeit zu geben, sich auszudrücken, hat für sie schon eine späte Wiedergutmachung bedeutet. Das haben sie uns so gesagt und darüber waren wir froh und stolz.
WDR.de: Hatten die Angehörigen denn nach alldem keine Angst in die Öffentlichkeit zu gehen?
Müller: Anne Kathrin Thüringer war in München und hat dort versucht mit der Familie des griechischen Opfers zu sprechen - was fast unmöglich war. Ein Freund von ihm hatte ein Interview gegeben, dem wurde danach die Scheibe seines Ladens eingeworfen. Da bestand eine unglaubliche Angst und Unsicherheit, in die Öffentlichkeit zu gehen und sich zu zeigen. Während der Recherche ist uns das oft begegnet - für uns war das ein schmaler Grat. Denn einerseits will man ja die Aufmerksamkeit, die Menschen zeigen und vorstellen. Es gibt ja immer nur diese zehn Fotos, die aussehen wie Fahndungsfotos. Wenn du aber in der Wohnung sitzt, die privaten Fotos siehst, die Urlaubsbilder, fängst du an die Menschen kennenzulernen, und du willst zeigen, wer das war - aber gleichzeitig willst du die Familie nicht gefährden. Es war zum Beispiel klar, dass wir nicht zeigen, wo die Angehörigen wohnen.
WDR.de: Schienen die Angehörigen erleichtert, dass die mutmaßlichen Täter gefasst worden sind?
Müller: Nein, eigentlich nicht. Gamze Kubaşık aus Dortmund hat sogar gesagt, dass es durch das Wissen für sie und ihre Mutter schlimmer geworden ist. Denn sie weiß jetzt, dass ihr Vater ein Zufallsopfer war. Es hätte jeden treffen können. Das ist die eine Sache, die andere ist, dass der Vater getötet wurde, weil er in Deutschland nicht gemocht wurde. Weil man nicht wollte, dass er als Ausländer in Deutschland wohnt. Das bezieht sie natürlich auch auf sich und ihre Familie.
WDR.de: Gamze Kubaşık wird von den NRW-Grünen zur Bundespräsidentenwahl gesendet. Opfer-Beratungsstellen, wie das "Back Up" in Dortmund wurden gegründet, es gibt nun viele Initiativen, Trauerfeiern und Gedenkminuten. Im Moment scheint sich der Fokus der Öffentlichkeit zu drehen, vom Täter auf die Opfer.
Müller: Es gab die Gedenkveranstaltung mit Angela Merkel, das haben viele der Anghörigen schon als große Ehre empfunden. Das Wichtigste ist für sie aber über die Zeit zu gucken. Wie laufen die Ermittlungen? Stecken Leute Energie in die Aufklärung und die Suche nach dem Mittätern? Das ist das, was sie eigentlich interessiert.
WDR.de.: Ab wann wird die Aufmerksamkeit zu viel? Ab wann werden die Opfer instrumentalisiert? Kippt das vielleicht gerade?
Müller: Ja, das kann sein. Gamze Kubaşık hat auch irgendwann gesagt, sie geht nicht mehr ans Telefon. Jedes Mal wenn wieder was ist, zum Beispiel eine Gedenkveranstaltung oder die Bundesversammlung, rufen täglich Medienvertreter an. Auf einmal wollen alle mit ihr sprechen - jahrelang hat sich keiner interessiert. Im Gegenteil, sie wurde mitverdächtigt. Das ist dann natürlich auch eine Aufmerksamkeit mit der sie nicht viel anfangen kann, weil sie sehr kurzatmig ist.
WDR.de: Die Journalisten, die sie früher teilweise verdächtigten, rufen nun für Portraits an. Äußern die Angehörigen Kritik an den Medien?
Müller: Klar, denn die verwendeten lange den Begriff "Dönermorde". In der Keupstraße hat das einer so verglichen: "Stellen sie sich vor in Mallorca wird ein Deutscher umgebracht und dann heißt es Soko Kartoffel." Die Familien haben sich beleidigt gefühlt, aber nie etwas gesagt. Sie haben sogar versucht die Keupstraße wieder attraktiver zu machen, indem sie eine neue Beleuchtung bezahlt haben. Damit es heller wird. Und wir haben von allem nichts mitbekommen.
Das Interview führte Jenna Günnewig.