Vier Räder mit Dach über dem Kopf, das ist der Traum der meisten Deutschen im ersten Nachkriegsjahrzehnt. Gerade einmal zwei Prozent der Arbeiter und Angestellten besitzen damals ein Auto. "Man müsste motorisiert sein, um mit dem Tempo unserer Zeit mithalten zu können. Denn jeder, der Erfolg haben will, hat es eilig und ein Auto", lockt BMW 1955 in einem Werbefilm - und präsentiert die maßgeschneiderte Lösung für den kleinen Lohnempfänger: die Isetta.
Lizenzimport aus Italien
Der runde Schnuckel entwickelt sich zum Golden Girl des Wirtschaftswunders und rettet BMW vor der Pleite. Denn die Münchener Nobelmarke hat die Zeichen der Zeit verschlafen; Anfang der 50er Jahre bietet sie immer noch außer Motorrädern nur teure Limousinen an. Mittlerweile zu klamm, um selbst ein Modell für den enormen Markt an Klein- und Kleinstautos entwickeln zu können, kauft BMW deshalb 1954 vom italienischen Autobauer Iso die Lizenz für dessen Isetta. Stolz stellen die Bayern am 5. März 1955 in Rottach-Egern der Presse den ersten Winzling aus heimischer Produktion vor.
Die Mailänder Firma Iso, berühmt für den Rennwagen Iso Rivolta, stellte anfangs Kühlgeräte her. Das mag die Konstrukteure zur einzigartigen Vordertür der Isetta inspiriert haben - als öffne man einen Kühlschrank. "Sie müssen normal im Stehen vorwärts einsteigen, sich umdrehen, gut den Kopf einziehen und hinsetzen", beschreibt Frank Roloff das Manöver. Der Mittsechziger aus Sprockhövel restauriert Isettas und besitzt einige der schönsten Modelle von insgesamt 161.728 Stück, die bei BMW vom Band gelaufen sind. Die größte Rarität unter Roloffs Mini-Oldies ist grün und hat als Sonderausstattung Blaulicht und Sirene. 1957 kam sogar die Polizei in der Isetta.
Mit 18 km/h die Alpen hoch
Rund 2.500 D-Mark müssen Käufer für das Minimobil berappen, immer noch viel Geld bei einem Durchschnittseinkommen von knapp 400 Mark. Doch wegen geringer Wartungskosten und einem Verbrauch von nur 3,5 Litern kommt die Isetta hervorragend an. Das 12-PS-Coupé mit Faltdach als Notausstieg bietet auf seiner Sitzbank gerade mal zwei Erwachsenen samt Kleinkind Platz, lässt aber endlich Träume vom Italien-Urlaub im eigenen Auto wahr werden. "Im ersten Gang so mit 18 Stundenkilometern die Alpen rauf", erinnert sich Frank Roloff. "Wenn es dann besser ging, konnte man in den zweiten schalten." Auf gerader Strecke sind bis zu 85 km/h drin.
BMW bewirbt seine Isetta als "motorisierte Einkaufstasche". Berühmt wird der Urtyp des heutigen Smart aber unter dem bezeichnenden Kosenamen "Knutschkugel". Mit rasant steigendem Wohlstand wächst bei den Deutschen dann der Wunsch nach einem "echten" Auto. BMW versucht es mit einer Weiterentwicklung der Isetta, nun mit zwei Sitzreihen und einer zusätzlichen Tür rechts. Die erfolglose Baureihe wird schon 1959 wieder eingestellt, zwei Jahre später dann die gesamte Isetta-Produktion. Die Zeit der teils skurrilen Nachkriegs-Minis wie "Schneewittchensarg"-Kabinenroller und "Leukoplastbomber" ist vorbei. Im Laufe der Sechziger verschwindet auch die Isetta von den Straßen. Dank vernarrter Fans wie Frank Roloff können rund 1.000 "Knutschkugeln" heute noch bestaunt werden.
Stand: 05.03.2015
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