Stichtag

24. Mai 2009 - Michael Hanekes "Das weiße Band" in Cannes ausgezeichnet

"Manchmal fragt mich meine Frau Susie: 'Bist Du glücklich?' Meistens finde ich das ziemlich schwierig zu beantworten. Aber jetzt kann ich zu dir sagen, Susie: Dies ist ein Moment, in dem ich sehr glücklich bin", sagt Michael Haneke als er die Goldene Palme von Cannes in den Händen hält. Susie ist Hanekes Frau, seine nach eigenen Angaben schärfste Kritikerin und seine Set-Designerin.

Hauptpreis mit 67 Jahren

Fünfmal war der österreichische Regisseur und Drehbuchautor Michael Haneke bereits im Wettbewerb von Cannes vertreten – bis er mit 67 Jahren den Hauptpreis gewinnt, die Goldene Palme. Ausgezeichnet wird er für den Film "Das weiße Band. Eine deutsche Kindergeschichte". Die Bösartigkeit einiger Figuren schnürt dem Zuschauer die Luft ab. In schwarz-weißen, streng komponierten Bildern, zeigt der Film das fiktive Dorf Eichwald kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die Kinder wachsen in einem Umfeld der Angst und protestantischen Bigotterie auf.

Der Dorfpfarrer fesselt die Arme seines Sohnes ans Bett, um ihn vom Masturbieren abzuhalten. Der Missbrauch einer Tochter durch ihren Vater wird angedeutet. Die Eltern verteilen Rutenschläge und wenig Liebe. Im Dorf geschehen zudem grausame Vorfälle: Einem behinderten Jungen werden die Augen zerstochen. Der Dorfarzt fällt über ein versteckt aufgespanntes Drahtseil und verletzt sich schwer. Eine Scheune geht in Flammen auf. Wer dahinter steckt, wird nie ganz aufgeklärt.

Haneke: "Es geht um die Wurzel jeder Art von Terrorismus"

"Ich versuche, meine Filme möglichst offen zu halten für Interpretationen. Und je unterschiedlicher die Interpretationen sind, umso mehr freue ich mich – weil der Zuschauer selbst etwas einbringt", sagt Michael Haneke. Er versuche sich der Widersprüchlichkeit des Lebens anzunähern. "Es ist im Leben nun einmal so, dass vieles im Dunkel bleibt", sagte er in einem Interview. Der Zuschauer ahnt jedoch, die Täter im "Weißen Band" sind die Kinder selbst. Die Kaltherzigkeit ihrer Eltern geben sie an jene weiter, die noch schwächer sind: den verträumten Sohn des Gutsbesitzers zum Beispiel oder den behinderten Sohn der Hebamme.

Haneke sieht seinen Film nicht ausschließlich als Parabel auf die kommende Zeit des Nationalsozialismus. "Natürlich geht es auch um die Wurzeln des Faschismus, aber nicht ausschließlich. Es geht um die Wurzel jeder Art von Terrorismus", erklärt Haneke in einem Interview. Indem man eine Idee verabsolutiere und sie zur Ideologie mache, werde sie unmenschlich.

Das Festival in Cannes ist Auftakt für eine Vielzahl an Preisen für "Das weiße Band". Es folgen der deutsche Filmpreis in zehn Kategorien, ein Golden Globe und zwei Oscar-Nominierungen. Drei Jahre später nimmt Haneke eine weitere Goldene Palme mit nach Hause - für den Film "Liebe".

Stand: 24.05.2014

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