1938 will Heinrich Harrer der "weißen Spinne" ins Netz gehen. Über 600 Bergtouren und Erstbesteigungen in den Alpen hat er schon hinter sich. Jetzt steht er vor der noch unbezwungenen Nordwand des Eiger, dessen Spitze sich 3.970 Meter über dem Meer in den Berner Alpen erstreckt.
"Dieser Teil der Gipfelwand des Eiger hat seinen Namen aufgrund seiner Ähnlichkeit mit einer riesigen Spinne erhalten", wird er später schreiben. "Die Spinne der Eigerwand ist weiß. Ihr Leib besteht aus Eis, aus ewigem Eis, aus ewigem Schnee. Auch ihre 100 Meter langen Beine und Fangarme sind weiß."
Gemeinsam mit dem Österreicher Fritz Kasparek sowie den Deutschen Anderl Heckmair und Ludwig Vörg gelingt Harrer die Erstbesteigung der Eigernordwand – sehr zur Freude Adolf Hitlers, der das Team wenig später empfängt.
Zum "deutschen Schicksalsberg"
Geboren wird Harrer am 6. Juli 1912 in Hüttenberg in Kärnten – auf der Saueralm, in 1.400 Metern Höhe, wie er gern betont. Ab 1933 studiert der begeisterte Leichtathlet Sport und Geografie auf Lehramt in Graz, wo er schon bald der in Österreich illegalen SA beitritt. 1936 trägt er als Teilnehmer der Olympischen Spiele die Fahne der österreichischen Mannschaft.
Die Bezwingung der Eigernordwand zwei Jahre später macht Harrer schlagartig berühmt. Er wird zu einem Vorzeige-Helden der Nationalsozialisten – und zum persönlichen Liebling von SS-Reichsführer Heinrich Himmler. 1938 erhält er den Rang eines SS-Oberscharführers. Da ist er schon längst reguläres Mitglied der NSDAP.
Nicht zuletzt auf Himmlers Wunsch hin heiratet Harrer 1938 Lotte Wegener, die Tochter des berühmten Grönlandforschers Alfred Wegener. Kurz danach erhält er die Einladung der nationalsozialistisch gelenkten Deutschen Himalaja-Stiftung für eine Expedition zum Nanga Parbat, dem "König der Berge" im Westhimalaja, den die Nationalsozialisten zum "deutschen Schicksalsberg" ausgerufen haben. Harrer soll eine neue Route finden, um den Achttausender erstmals zu bezwingen.
"Die schönste Zeit meines Lebens"
Während der Expedition aber bricht der Zweite Weltkrieg aus. In Indien geraten Harrer und sein Team in britische Gefangenschaft. 1944 gelingt ihm mit seinem Bergsteigerkollegen Peter Aufschnaiter die Flucht. 21 Monate marschieren sie durch Indien hinauf in den Himalaja, 2.000 Kilometer bis nach Tibet. Dort weckt Harrer das Interesse des damals elfjährigen Dalai Lama, dessen Lehrer, Freund und Berater er wird. "Mein Aufenthalt in Tibet, meine Zeit mit dem Dalai Lama ist die schönste Zeit meines Lebens gewesen", sagt Harrer später: "ich glaube für beide".
Nach dem Einmarsch der Chinesen 1950 muss Harrer gemeinsam mit dem Dalai Lama fliehen. Seine Erlebnisse verarbeitet er in einem 1997 mit Brad Pitt erfolgreich verfilmten Bestseller "Sieben Jahre in Tibet", von dessen Erlösen sich Harrer weitere Bergexpeditionen finanziert. Während der Dreharbeiten wird die nationalsozialistische Vergangenheit Harrers publik. Der Bergsteiger gibt an, sich an nichts erinnern zu können. Seine 80 Seiten dicke SS-Akte hingegen spricht Bände.
Heinrich Harrer stirbt 2006 in Friesach.
Stand: 06.07.2012
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