Schon Monate vorher werben die Chinesen für ihren Einmarsch in Tibet. "Seit zahllosen Generationen lebten die Tibeter wie Tiere. Doch jetzt beginnen ihre glücklichen Tage. Jahrhunderte lange Unterdrückung und Ausbeutung der Tibeter haben ein Ende. In Tibet zieht der Frühling ein", heißt es in einem Propagandafilm vom Anfang der 1950er Jahre. Bald besetzen die kommunistischen Truppen Mao Zedongs Osttibet: Am 24. Oktober 1950 gibt China den Einmarsch bekannt.
Tibeter kämpfen um Unabhängigkeit
Kaum eine andere Nation in der Welt protestiert, denn völkerrechtlich ist die Lage kompliziert. Die Tibeter beharren auf ihrer Unabhängigkeit, die der 13. Dalai Lama 1912 erklärt hatte. Anfang des 18. Jahrhunderts gehörte Tibet jedoch zu China. Zwischen 1913 und 1949, als Kommunisten und Republikaner in China um die Macht kämpfen, ist Tibet quasi unabhängig - und verdrängt die Bedrohung. Heinrich Harrer, Bergsteiger und Vertrauter des 14. Dalai Lama, erinnert sich: "Es war damals so, dass in Tibet der Glaube an Orakel, an Sterne, Weissagungen so tief verwurzelt war, dass sie gar nicht mitgekriegt haben, dass eine Gefahr vom Kommunismus ausgeht." Im Mai 1951 unterzeichnen beide Regierungen das 17-Punkte-Abkommen. Es garantiert den Tibetern Religionsfreiheit und innenpolitische Autonomie, Außenpolitik und Verteidigung sind Sache Chinas. Aus tibetischer Sicht handelt es sich um ein erzwungenes Abkommen, denn die Chinesen drohen mit Krieg. Die Chinesen sprechen von einer friedlichen Befreiung.
Chinesische Kulturrevolution in Tibet
Doch die Politik der Umarmung, wie sie die Chinesen nennen, ist bald vorüber. Ab Mitte der 1950er Jahre zerstören die Besatzer buddhistische Tempel und Klöster, verfolgen deren Nonnen und Mönche. Die schlimmste Zeit erleben die Tibeter Mitte der 1960er Jahre. Die chinesische Kulturrevolution reicht bis auf das Dach der Welt: Die tibetische Sprache wird verboten, der Boden neu aufgeteilt. Gegner der Kommunisten landen in Arbeitslagern oder Gefängnissen. Tausende Tibeter fliehen vor der kommunistischen Besatzung, täglich überqueren Flüchtlinge die Grenze nach Indien. In Dharamsala, am Fuße des Himalaya, gewährt die indische Regierung dem 14. Dalai Lama Asyl. Von hier aus führt er seit 1960 als geistliches und weltliches Oberhaupt der Tibeter eine Exilregierung.
Dalai Lama wünscht sich gewaltfreie Lösung
Die Tibet-Frage ist bis heute ungelöst. Zuletzt kam es im Jahr 2008 zu Aufständen in Tibet. Wie viele Tibeter seit 1950 gestorben sind oder in Gefängnissen gefoltert wurden, ist unbekannt. Experten gehen von 1,2 Millionen Opfern aus. Auf rund fünf Millionen Tibeter kommen inzwischen knapp dreieinhalb Millionen Han-Chinesen, die nach Tibet eingewandert sind. Der Dalai Lama setzt auf eine gewaltfreie Lösung, 1989 bekommt er dafür den Friedensnobelpreis: "Ich glaube, dass China eines Tages auf den Weg zur Demokratie zurückfindet. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir über Tibet diskutieren können. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass Tibet chinesisch bleibt. Aber wir wollen unsere volle Freiheit erlangen, die Freiheit zu tun, was wir wollen."
Stand: 24.10.10