"Unsere Liebe ist ein lebendiges Band, unsere Briefe halten unser Glück lebendig", singt der frühere Sowjetpräsident und Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow 2009 für seine verstorbene Frau. Der 78-Jährige hat eine CD mit dem Titel "Lieder für Raissa" aufgenommen. "Ich fand, es war eine ideale Ehe", sagt Hans-Dietrich Genscher (FDP). Als bundesdeutscher Außenminister hat er oft mit Gorbatschow verhandelt und Raissa Gorbatschowa als eine Ehefrau schätzen gelernt, "die einen ganz klaren eigenen Kopf hatte, die politisch außerordentlich interessiert und sensibilisiert war."
Geboren wird Raissa Maximowna Titorenko am 5. Januar 1932 (nach anderen Angaben 1934) im sibirischen Rubzowsk. Als sie drei Jahre alt ist, wird ihr Vater, ein Eisenbahningenieur, in ein Lager in Sibirien gesteckt. Er soll die Enteignung der Bauern kritisiert haben. Raissa, ihre Mutter und ihr kleiner Bruder hausen vier Jahre lang in einem ausgedienten Güterwaggon, der immerhin über einen Holzofen verfügt.
Studie über das Leben auf Kollektivfarmen
Die gemeinsamen Erinnerungen, die Michail Gorbatschow besingt, beginnen in Moskau. Als Studenten lernen sie einander kennen. Sie studiert Soziologie, er Jura. "Wir waren uns von vornherein über unsere Gefühle im Klaren", sagt Raissa einmal. "Ein Leben ohne den anderen war fortan nicht mehr möglich." 1953 (nach anderen Angaben 1956) heiraten die beiden. Sie wohnen in Stawropol, wo Michail seine politische Karriere beginnt. Nach der Geburt ihrer Tochter Irina arbeitet Raissa als Lehrerin und promoviert 1967 mit einer Arbeit über die Lebensbedingungen auf Kollektivfarmen. Die soziologische Studie kommt zum Schluss, dass der soziale Fortschritt in der sowjetischen Provinz vor allem durch veraltete Ansichten über die Rolle der Frau behindert wird.
Als Michail Gorbatschow 1978 zum ZK-Sekretär berufen wird, zieht Raissa Gorbatschowa mit ihm nach Moskau und übernimmt dort eine Professur für dialektischen Materialismus an der Philosophischen Fakultät der Universität Moskau. Als ihr Mann im März 1985 Staats- und Parteichef der Sowjetunion wird, gibt sie ihre Berufstätigkeit auf. Das Paar erobert die politische Weltbühne. Raissa tritt im Designerlook auf und stellt sich lächelnd in den Mittelpunkt. Konservative Genossen werfen ihr eine Vorliebe für Luxus und Einmischung in das politische Tagesgeschäft ein. Tatsächlich hat Raissa Gorbatschowa großen Einfluss. So ist sie auch dabei, als ihr Mann im Juli 1990 bei einem Treffen mit Helmut Kohl (CDU) im Kaukasus den Weg für die deutsche Einheit freimacht. "Da fasste plötzlich von hinten eine kleine Hand in meine und zog mich zurück. Das war Raissa Gorbatschowa", erinnert sich Genscher. Sie habe zu ihm gesagt: "Sie wissen ja hoffentlich, was das bedeutet, was mein Mann hier für Sie tut, für Sie - da meinte sie die Deutschen."
Schlaganfälle und Blutkrebs
Im August 1991 wird Familie Gorbatschow während eines Urlaubs auf der Krim durch einen Putschversuch reformfeindlicher Kräfte überrascht. Der Schock und die zeitweilige völlige Isolierung lösen bei Raissa Gorbatschowa einen Zusammenbruch aus. Sie erleidet einen Schlaganfall. Die Ära Gorbatschow geht zu Ende: Im Dezember 1991 löst sich die Sowjetunion auf, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) wird gegründet.
Raissa Gorbatschow begleitet ihren Mann nun auf Vortragsreisen nach Europa und in die USA, soweit dies ihr angeschlagener Gesundheitszustand zulässt. Im März 1993 hat sie einen weiteren Schlaganfall. Dann erkrankt sie an Leukämie und wird im Juli 1999 in die Universitätsklinik Münster eingeliefert. Dort stirbt Raissa Gorbatschowa am 20. September 1999 im Alter von 67 Jahren. Michail Gorbatschow hat sein Leben nach ihrem Tod oft als sinnlos bezeichnet. Auch davon singt er in seinem Liebeslied zu ihrem zehnten Todestag: "Ich weiß nicht warum, aber mein Herz ist wie ein verwundeter Vogel. Worte brauchen wir nicht, wenn du auf Bildern mich anlächelst."
Stand: 05.01.2012
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