Kaiserin der Deutschen ist Victoria nur 99 Tage lang. Dann stirbt ihr Mann, Friedrich III., im Juni 1888 an Kehlkopfkrebs. Für die gebürtige Engländerin endet damit nicht nur ihre Ehe, sondern auch ihr politischer Traum. Sie wollte in Deutschland eine Monarchie nach englischem Vorbild errichten - mit einer Verfassung, in der die Mitwirkung des Volkes vorgesehen ist. "Wir liebten Deutschland und wünschten, es stark und groß zu sehen. Nicht nur durch das Schwert, sondern in allem, was Gerechtigkeit, Kultur, Fortschritt und Freiheit bedeutete", so Victoria. "Und nun ist alles umsonst gewesen." Dennoch gehört Victoria zu den herausragenden Persönlichkeiten ihrer Zeit, sagt der Potsdamer Geschichtsprofessor Michael Epkenhans: "Ihre Tragik ist gewesen, dass sie in ein Land verheiratet wurde, das sich im Umbruch befand und in dem überkommene und moderne Traditionen in einem Wettstreit standen, der zunächst einmal zuungunsten der modernen Entwicklung entschieden wurde."
"Vernichtend für Körper und Geist"
Geboren wird Victoria am 21. November 1840 im Buckingham Palast in London - als älteste Tochter der englischen Königin Victoria und ihres deutschen Gemahls, Albert von Sachsen-Coburg und Gotha. Prinzessin Vicky fällt schon als Kind durch Intelligenz und Eigensinn auf. 1851, bei der ersten Weltausstellung in London, lernt Friedrich Wilhelm von Preußen die Zehnjährige kennen. Der 19 Jahre alte Prinz ist entzückt: "Diese kindliche Einfachheit, gepaart mit dem Geist einer Frau." Als die Prinzessin 14 ist, findet die Verlobung statt; mit 17 folgt sie ihrem frisch angetrauten Gatten nach Berlin. Vicky hat eine Mission, auf die ihr Vater sie intensiv vorbereitet hat: Sie soll mit ihrem Mann die Einigung Deutschlands unter der Vorherrschaft eines liberalen Preußens vorantreiben. Die selbstbewusste Victoria eckt in der rückständigen Berliner Hofgesellschaft aber an. Statt zu politisieren, muss sie repräsentieren. "Die nutzlose Existenz, die man hier führt in ihrer tötenden Monotonie, finde ich geradezu vernichtend für Körper und Geist."
Schon ein Jahr nach der Hochzeit kommt Wilhelm, der erste Sohn, zur Welt. Durch Fehler bei der Geburt ist sein linker Arm verkrüppelt. Die 18-jährige Mutter schämt sich für ihr behindertes Kind. Wilhelm soll dennoch - mit entsprechendem Drill - ein echter Preuße werden. Vickys Plan, aus dem Erstgeborenen einen liberalen und weltoffenen Herrscher zu machen, schlägt unter diesen Bedingungen immer mehr ins Gegenteil um.
Von Bismarck und Sohn Wilhelm angefeindet
1861 wird Victorias Schwiegervater, Wilhelm I., König von Preußen. Bald darauf löst ein Streit um die Heeresreform eine Verfassungskrise aus, in deren Verlauf Wilhelm I. überlegt, zugunsten seines Sohnes abzudanken. Doch Friedrich kneift. Auch Vicky kann ihren Mann nicht überzeugen, die Krone anzunehmen. Wilhelm I. erklärt daraufhin den erzkonservativen Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten und stellt damit die Weichen für einen Rechtsruck Preußens. Drei Kriege braucht Bismarck, bis 1871 das Deutsche Reich unter Preußens Führung gegründet und Wilhelm I. zum Kaiser ernannt wird. Das liberale Kronprinzenpaar wird politisch kaltgestellt. Victoria setzt sich in anderen Bereichen ein: Sie sorgt für Verbesserungen im Gesundheitssystem und unterstützt die Frauenbewegung.
30 Jahre wartet das Kronprinzenpaar auf die Macht. Als Wilhelm I. 1888 mit fast 91 Jahren stirbt, ist es für seinen Sohn Friedrich zu spät für eine lange Regentschaft. Der Krebs hat seinen Kehlkopf so zerfressen, dass er während der dreimonatigen Amtszeit als Kaiser Friedrich III. seine Befehle nur auf Zetteln notieren kann. In Erinnerung an ihren Mann lässt sich Vicky nach dessen Tod nur noch Kaiserin Friedrich nennen. Bismarck und ihr Sohn, der mit 29 Jahren als Wilhelm II. den Kaiserthron besteigt, setzen alles daran, sie zu demütigen. Vicky zieht sich in den Taunus zurück und beobachtet entsetzt, wie ihr Sohn säbelrasselnd die Nachbarländer verprellt. Sie befürchtet, dass es dadurch zum Krieg kommt. Den Ersten Weltkrieg erlebt sie allerdings nicht mehr. Vicky stirbt am 5. August 1901 mit 60 Jahren in Kronberg im Taunus an Brustkrebs. Zuvor hat sie festgestellt: "Mein Leben ist ein Schatten dessen, was es hätte sein können."
Stand: 05.08.11
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