1964 versetzt der Weltfußballverband Fifa ein ganzes Land in einen Taumel der Glückseligkeit: Mexiko wird Ausrichter der Weltmeisterschaft 1970. Um das Ereignis gebührend zu feiern, nimmt das ballverrückte mittelamerikanische Entwicklungsland in Mexiko-City, wo sich einst die Azteken-Hauptstadt Tenochtitlan erhob, den Bau einer Fußball-Kathedrale der Superlative in Angriff.
Fast zwei Millionen Tonnen Lavagestein, Relikte eines Vulkanausbruchs in grauer Vorzeit, müssen abgetragen werden, um Platz zu schaffen. Dann errichten 800 Arbeiter in Rekordzeit aus über 100.000 Tonnen Beton einen der schönsten Fußball-Tempel der Erde. Von den Einheimischen "Coloseo de Santa Ursula" getauft, wird das Aztekenstadion am 29. Mai 1966 feierlich eröffnet.
Schauplatz des "Jahrhundertspiels"
Ohne Leichtathletik-Laufbahn, die sonst das Publikum vom Rasen distanziert, gilt das Aztekenstadion mit rund 105.000 überdachten Plätzen auf drei Tribünenrängen als das größte reine Fußballstadion der Welt. Und dank seiner besonderen, wie ein Schalldeckel wirkenden Dachkonstruktion, auch als das lauteste. Das "Azteca" oder "Estadio Guillermo Caneda", so sein offizieller Name, wird als einziges Stadion zwei Mal Austragungsort eines WM-Finales. Fußballgeschichte schreibt 1970 jedoch nicht das Endspiel zwischen Brasilien und Italien (4:1), sondern das dramatische Halbfinale der deutschen Elf gegen Italien. Noch heute erinnert am Aztekenstadion eine Bronzetafel an das legendäre "Jahrhundertspiel", das Deutschland bei Gluthitze in der Verlängerung mit 3:4 verliert.
Bühne für Maradona und Michael Jackson
1986 springt Mexiko kurzfristig an Stelle von Kolumbien als WM-Ausrichter ein. Ein Spieler in der Form seines Lebens macht diese Weltmeisterschaft mit zwei spektakulären Toren im Aztekenstadion unvergesslich. England muss im Viertelfinale gegen Argentinien antreten - besser gesagt, gegen Diego Armando Maradona. In der 51. Minute erzielt Argentiniens Kapitän vor 115.000 Zuschauern mit Hilfe "der Hand Gottes" das berüchtigste "Kopfball"-Tor aller Zeiten. Wenig später startet Maradona einen Sololauf über den halben Platz, umkurvt sieben Gegenspieler und erzielt das 2:0 für die siegreichen Gauchos. Diesen Treffer im Hexenkessel des Azteca erklärt die Fifa 2002 zum Tor des Jahrhunderts.
Seither wird das Aztekenstadion als Heimspielstätte des mexikanischen Erstligisten Club América und für Großveranstaltungen genutzt. Michael Jackson etwa trat dort viermal hintereinander vor jeweils 100.000 Zuschauern auf. 2005 trägt die amerikanische National Football League (NFL) im Azteca erstmals ein Saisonspiel außerhalb der USA aus. Besitzer des gigantischen Ovals ist heute Mexikos führender Fernsehkonzern Televisa. Praktischerweise gehört zu dessen Imperium auch der Club América.
Stand: 29.05.2011
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist in den vier Wochen nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.