Als Schriftsteller, bildender Künstler und Mensch ist Günter Grass ein streitbarer Querkopf, der die Dinge gern aus einer anderen, dem Mainstream zuwiderlaufenden Perspektive beleuchtet. 1969 bricht er ein Tabu und verlässt den Elfenbeinturm des Dichters, um für Willy Brandt (SPD) Wahlkampf zu betreiben.
Zwanzig Jahre später warnt er vor einer allzu schnellen Wiedervereinigung und mahnt zwei unabhängige deutsche Staaten an, die sich aus freundlicher Distanz erst allmählich wieder aneinander gewöhnen sollen.
Mit Heinrich Böll gibt er eine politische Zeitschrift heraus, aus Protest gegen die Haltung zur Abtreibung verlässt er die katholische Kirche, gründet eine Stiftung für die Roma. Vieles davon nehmen ihm seine Kritiker übel. Der SPD-Politiker Björn Engholm indes bemerkt, Grass habe "die Demokratie wachgeküsst".
Zu dieser Grundeinstellung passt es gut, dass Grass bis zu seinem 80. Geburtstag im Familienkreis während der Feier immer einen Handstand macht – natürlich auch, um zu demonstrieren, wie rüstig er sei. Seine Kinder und Enkelkinder seien dann immer etwas besorgt, wird er sich erinnern, "und stehen immer ein bisschen zitternd drum herum und klatschen immer viel zu früh Beifall, wenn ich die Beine noch nicht richtig gestreckt habe". Aber es gelingt ihm immer: nicht zuletzt, weil er im Vorfeld heimlich übt.
Nazis, Trommeln und Nobelpreis
Geboren wird Grass am 16. Oktober 1927 in Danzig. Mit 17 Jahren kommt er zur Waffen-SS. Weil er dies erst 2006 im Umfeld seines autobiografischen Werkes "Beim Häuten der Zwiebel" bekennt, wird er stark angefeindet. Nach einer Verwundung 1945 gerät er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, danach absolviert er 1947 und 1948 ein Praktikum als Steinmetz in Düsseldorf, wo er auch an der Kunstakademie studiert.
Mit seiner Frau lebt er in den Folgejahren bis 1960 in Paris. Zurück kommt Grass mit dem Manuskript für seinen bedeutendsten Roman, "Die Blechtrommel". Mit seinem Schelmenroman "Die Blechtrommel" über den Irrenhaus-Insassen Oskar Mazerath, der mit drei Jahren beschließt, mit dem Wachsen aufzuhören und mit seiner Trommel die Nazi- und Nachkriegszeit durcheinanderbringt, gelingt Grass 1959 der Durchbruch.
Das 1979 von Volker Schlöndorff international erfolgreich verfilmte Buch ist der erste Band einer später sogenannten Danziger Trilogie, zu der noch die Novelle "Katz und Maus" (1961) und der Roman "Hundejahre" (1963) gehören. An den Erfolg des in barocker Sprachgewalt verfassen Erstlings, für den er 1999 den Literaturnobelpreis erhält, kann Grass nicht mehr anknüpfen. Trotzdem etabliert er sich in der Folge als einer der wichtigsten Intellektuellen der Bundesrepublik.
Unermüdlicher Handwerker
Grass ist ein unermüdlicher Arbeiter, der nach Auskunft des Grass-Experten Volker Neuhaus "vermutlich außer Heiligabend und den Neujahrsmorgen" am Schreibtisch oder im Atelier sitzt, um mit der Hand zu schreiben, zu zeichnen, zu stechen oder zu formen.
1995 kommt sein von Theodor Fontane inspirierter Roman "Ein weites Feld" heraus. "Was ist aus dem Günter Grass geworden?", fragt der einstige Förderer, "Literaturpapst" Marcel Reich-Ranicki. "Wie kann es einem solchen Menschen passieren, ein Buch von 782 Seiten zu schreiben, das so unmenschlich, langweilig ist?" Die Fehde macht Schlagzeilen. Grass selbst ist tief verletzt. Er schreibt trotzdem weiter, holt sich immer wieder Blessuren. Zum Beispiel für sein Gedicht "Was gesagt werden muss" über die friedensbedrohliche Siedlungspolitik der Atommacht Israel, das ihm 2012 den Vorwurf einbringt, antisemitisch zu sein.
Günter Grass stirbt 2015 im Alter von 87 Jahren in Lübeck.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. Oktober 2017 ebenfalls an Günter Grass. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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