22. Oktober 1921 - Chansonnier Georges Brassens wird geboren

Stand: 22.10.2016, 00:00 Uhr

Wie ein Stier, den man aus dem Dunklen in die Arena zerrt, habe er sich gewehrt. "Im Rampenlicht war er plötzlich nur noch eine halbe Portion, er verging vor Scham.“ So erinnert sich die Sängerin Patachou an Brassens' Bühnendebüt 1952 in ihrem Cabaret auf dem Pariser Montmartre. Schwitzend und steif vor Lampenfieber steht der schnauzbärtige Chansonnier mit den dunklen Locken erstmals vor Publikum.

Seine Lieder voller Poesie und Derbheit, mal zärtlich, mal grob und zynisch, sollten eigentlich andere singen. Mit 31 Jahren hält Georges Brassens sich für zu alt und als Eigenbrötler hasst er das Rampenlicht. Patachou aber ermutigt ihn, seine Chansons selbst zu interpretieren. An jenem Abend am Montmartre schafft der scheue Brassens auf Anhieb den Durchbruch. Große Blätter wie "Le Figaro" berichten über ihn; bald füllt der bullige Anarcho mit leiser Stimme und Gitarre die größten Konzertsäle von Paris. 

Naturgewalt auf kurzen Beinen

Aufgewachsen ist der am 22. Oktober 1921 geborene Brassens im Fischerstädtchen Sète am Mittelmeer, erzogen von einer strenggläubigen neapolitanischen Mutter und einem antiklerikalen freidenkerischen Vater. Mit 15 habe er gehofft, "man könne leben, ohne irgendwas zu tun", gesteht der Sänger später. Seine Mutter begeistert ihn für Musik, besonders für die großen französischen Chansons. Nach einer Diebstahlsaffäre wird er 1940 zu einer Tante nach Paris geschickt. Seinen Lebensunterhalt verdient Brassens bei Renault am Fließband. Jede freie Minute verbringt er in Bibliotheken, wo er akribisch die Verskunst der bedeutendsten Autoren studiert. Brassens' großes Vorbild ist der Chansonnier Charles Trenet, mit dem er später zusammen auftreten wird.

Die deutschen Besatzer holen Brassens 1943 zum Arbeitsdienst ins Flugzeugmotorenwerk Basdorf bei Berlin. Dort lernt er Pierre Onténiente kennen. "Gibraltar" tauft Brassens den Freund, der zu seinem Fels in der Brandung des Lebens wird. "Georges beeindruckte uns mächtig", sagt Onténiente. "Er war eine Naturgewalt, zwar nur 1,80 m groß, aber sehr kräftig. Weil er etwas kurze Beine hatte, erinnerte er an einen Gorilla." Statt von einem Heimaturlaub zurückzukehren, taucht Brassens 1944 bei befreundeten Eheleuten unter. Völlig unbegabt, seinen Alltag zu organisieren, lebt der Pfeifenraucher die nächsten 20 Jahre in einem winzigen Häuschen ohne Gas, Wasser und Elektrizität.

Rotziger Spott eines Querdenkers

Sein erstes Geld als Künstler verdient Georges Brassens mit Texten für das Anarchistenblatt "Le Libertaire". Seine zwei Gedichtbände aber will (noch) niemand lesen. Privates Glück findet er bei der Estin Joha Heiman. Seinem "Püppchen" bleibt Brassens bis zum Tod treu, nur zusammenziehen mit ihr mag er nicht. In jenen Jahren schreibt er einige seiner berühmtesten Chansons, für sein "Püppchen" etwa "Je me suis fait tout petit", das Lied von der Puppe, vor der er sich ganz klein macht. Der erste große Plattenerfolg gelingt ihm mit "Le Gorille", der bizarren Geschichte vom lüsternen Gorilla, die sich als wortgewaltiges Plädoyer gegen die Todesstrafe erweist.

Brassens' Sympathie gilt immer den Unangepassten und Außenseitern, Doppelmoral ist ihm ein Gräuel. Seine in klassischen Versmaßen gedrechselten Texte vertont er mit schnörkellosen, "swingenden" Melodien. Erst bei genauem Hinhören offenbart sich ihre Raffinesse. Vor dem rotzigen Spott des Querdenkers ist niemand sicher, die "glücklichen Trottel" in der Provinz genau so wenig wie die Weltverbesserer von 1968. "Wir sterben für Ideen, na schön, aber ga-hanz la-ha-hang-sam", höhnt Brassens. 1977 muss er sich wegen einer schweren Nierenerkrankung zurückziehen. Seine 17 Alben verkaufen sich über 20 Millionen Mal, seine Texte werden in fast zwei Dutzend Sprachen übersetzt. Starrummel aber lehnt der "gütige Anarchist" (Stuttgarter Zeitung) bis zu seinem Tod am 29. Oktober 1981 konsequent ab. So wie er es wollte, wird Georges Brassens auf dem Armenfriedhof seiner Heimatstadt Séte begraben.

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