Stichtag

8. November 2000 - Gesetz zur gewaltfreien Erziehung in Kraft

"Ein kleiner Klaps hat noch niemandem geschadet", "Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen", "Wer nicht hören will, muss fühlen" - Rechfertigungen für körperliche Bestrafungen im Namen der Kindererziehung gibt es viele. Sie sind von Generation zu Generation weitergegeben worden und halten sich teilweise noch heute. Auch die Gesetzgebung hat lange dafür gesorgt, dass sich Eltern auf das ihnen zugestandene Züchtigungsrecht berufen konnten. So enthält das 1896 entstandene Bürgerliche Gesetzbuch den Paragrafen 1631, Absatz 2, in dem es damals heißt: "Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden."

Der Paragraf gilt in dieser Form bis 1958. Erst dann wird er durch das Gleichberechtigungsgesetz in seiner alten Fassung gestrichen. Allerdings nur, weil es bis dahin lediglich dem Vater erlaubt war, Kinder körperlich zu maßregeln. Im Bürgerlichen Gesetzbuch steht nun: "Die Sorge für die Person des Kindes umfasst das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen." Welche Mittel dabei eingesetzt werden dürfen, wird nicht näher definiert.

Was ist entwürdigend?

Als 1980 das Kindschaftsrecht reformiert wird, ändert sich die Bestimmung im Bürgerlichen Gesetzbuch. Der Paragraf 1631, Absatz 2 wird ergänzt durch den Satz: "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig." Das ist aber offenbar noch nicht deutlich genug formuliert. Denn 1986 entscheidet der Bundesgerichtshof, dass Eltern noch immer "eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung" hätten. Die Verwendung eines stockähnlichen Gegenstands sei nicht pauschal entwürdigend. In dem fraglichen Fall hatte ein Vater sein Kind mehrmals mit einem Wasserschlauch auf den Hintern geschlagen, wobei rote Striemen entstanden.

1992 unterzeichnet die Bundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention und verpflichtet sich dadurch, Kinder gesetzlich vor jeglicher Form körperlicher und seelischer Misshandlung zu schützen. Sechs Jahre später wird in einer weiteren Kindschaftsrechtsreform der Paragraf 1631, Absatz 2 im Bürgerlichen Gesetzbuch abgeschwächt. Er lautet: "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen, sind unzulässig."

Bergmann: "Gewalt hat viele Gesichter"

Am 6. Juli 2000 beschließt der Bundestag schließlich mit großer Mehrheit das "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung". Es tritt am 8. November 2000 in Kraft und bestimmt eine Veränderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dort heißt es nun: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." An der strafrechtlichen Verfolgung von Eltern, die gegen das Verbot verstoßen, ändert das neue Gesetz nichts: Wer sein Kind misshandelt, kann wegen Körperverletzung oder Nötigung zur Rechenschaft gezogen werden.

Beim Gesetz zur gewaltfreien Erziehung stehen vielmehr Hilfen für Kinder, Jugendliche und Eltern in Konfliktlagen im Vordergrund. Das Bundesfamilienministerium führt deshalb mit Verbänden eine bundesweite Begleitkampagne durch. Unter dem Motto "Mehr Respekt vor Kindern" wird für eine gewaltfreie Erziehung geworben. "Gewalt hat viele Gesichter", sagt Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) beim Start der Kampagne im September 2000. "Man muss ein Kind nicht schlagen, um es zu verletzen." Für Eltern werden Beratungsstellen und Trainings eingerichtet, wo sie lernen können, ihre Kinder auch in Stresssituationen gewaltfrei zu erziehen.

Stand: 08.11.2015

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