Stichtag

3. November 1970 - Salvador Allende als Präsident von Chile vereidigt

Er ist Anfang der 1970er Jahre die Hoffnung der undogmatischen Linken. Der chilenische Arzt Salvador Allende ist Marxist aus Überzeugung. Schon 1937 wird er erstmals Parlamentsabgeordneter für die Sozialistische Partei. Seine Vision ist eine Art südamerikanisches Gegenstück zum "Prager Frühling", der 1968 vom Warschauer Pakt niedergeschlagen wurde: Allende will in Chile einen demokratischen Sozialismus aufbauen - ohne Diktatur des Proletariats.

1969 haben sich in Chile Sozialisten, Kommunisten und einige kleine Linksparteien zum Wahlbündnis "Unidad Popular" zusammengeschlossen. Allende ist ihr Kandidat für die Präsidentschaftswahlen. Er erhält am 4. September 1970 zwar eine relative Mehrheit von 34 Prozent der Stimmen. Doch das reicht nicht aus, die absolute Mehrheit ist notwendig. In dieser Situation wird Allende von den Christdemokraten unterstützt und am 24. Oktober vom Parlament in der Hauptstadt Santiago mit einer Dreiviertelmehrheit ins Amt gehoben. Zum ersten Mal in der Geschichte ist ein bekennender Marxist demokratisch an die Spitze eines Staates gewählt worden. Am 3. November 1970 wird Allende als Präsident vereidigt: "Wir werden eine echte Demokratie errichten. Denn das Volk wird daran beteiligt sein - und nicht wie bisher nur eine Minderheit", verspricht der neue Amtsinhaber.

Nixon: "Ich werde ihn zerstören"

Ein ganz anderes Verständnis von Demokratie als Allende hat die US-Regierung unter Richard Nixon. "Die USA befürchteten, dass es zu einer Achse Santiago-Havanna kommen könnte in Lateinamerika, und dass das die gesamte Region destabilisieren und sich gleichzeitig der Einfluss der Sowjetunion ausdehnen würde", sagt Edward Korry, US-Botschafter in Chile von 1967 bis 1971. Bei einem Besuch im Weißen Haus habe Nixon überlegt, wie er den Che-Guevara-Fan Allende vernichten könne. "Und dann sagte er: 'Ich werde ihn wirtschaftlich zerstören.'"

Tatsächlich boykottieren die USA und andere kapitalistische Länder Chiles Handel und Wirtschaft. Auslandskredite gibt es nicht. Allendes Umverteilungspolitik kommt ins Stocken. Die Verstaatlichung des Kupferbergbaus bringt nicht den erwarteten Gewinn. Die Enteignung der Großgrundbesitzer führt zu hohen Ernteeinbußen. Die Geldentwertung nimmt ständig zu. Schon nach einem halben Jahr geht es wirtschaftlich bergab. "Es konnte nicht gut gehen, weil der Anspruch, ein eigenes Modell zu entwickeln, mit der Realität nicht in Übereinstimmung zu bringen war", sagt Politikwissenschaftler und Chile-Kenner Dieter Nohlen.

General Pinochet putscht

Der Ausstand der Lkw-Fahrer im Oktober 1972 wird zu einer Massendemonstration des Mittelstandes gegen Allende. In vielen Provinzen wird der Ausnahmezustand verhängt. 1973 nehmen die politischen Konfrontationen zu. Bei den Parlamentswahlen im März gewinnt die "Unidad Popular" gut 35 Prozent der Stimmen und verfehlt damit die angestrebt absolute Mehrheit. Ein erster Putschversuch gegen die Regierung wird im Juni vereitelt. Mitte August erklärt Allende, Chile stehe am Rand eines Bürgerkrieges.

Am 11. September 1973 geben die chilenischen Generäle unter Führung von Augusto Pinochet bekannt, sie wollten das Vaterland vom marxistischen Joch befreien und die öffentliche Ordnung wieder herstellen. Im Präsidentenpalast "La Moneda" in Santiago verschanzt sich Allende daraufhin mit einigen Getreuen. Seine beiden Töchter schickt er aus dem Gebäude. "Er hat uns noch bis zum Seiteneingang 'Morandé 80' begleitet und uns wortlos umarmt", erinnert sich Elisabeth Allende. Ihr Vater ist nun fast allein im brennenden Palast. Salvador Allende klemmt sich ein Maschinengewehr zwischen Knie und Kinn. Dann drückt er ab. Zunächst herrscht allerdings Unklarheit über Allendes Todesumstände. Während der 17 Jahre dauernden Pinochet-Diktatur wird dazu kein medizinisches Gutachten veröffentlicht. Auch eine Hinrichtung scheint möglich. Erst im Juli 2011 bestätigt eine Autopsie der chilenischen Behörde für Gerichtsmedizin die Suizidversion.

Stand: 03.11.2015

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