13. April 1871 - Neurologe Oskar Kohnstamm wird geboren

Stand: 06.04.2021, 18:55 Uhr

Sanatorium für vermögende Burnout-Patienten: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffnet Oskar Kohnstamm eine Privatklinik in Hessen, die zum Treffpunkt für Kulturschaffende wird.

Oskar Kohnstamm, dt. Neurologe (Geburtstag, 13.04.1871) WDR ZeitZeichen 13.04.2021 14:57 Min. Verfügbar bis 14.04.2099 WDR 5

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Es ist ein exklusives Gebäude, das 1905 im Kurort Königstein im Taunus gebaut wird: "Kleines, vornehm eingerichtetes Sanatorium, circa 25 Patienten", heißt es im Werbeprospekt. "Mit allen Hilfsmitteln moderner Therapie, unter denen Diätetik, psychische Beeinflussung, in einzelnen Fällen auch Hypnose" seien.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieg gehören zu den Patienten vor allem Künstler und Intellektuelle wie der Maler Ernst Ludwig Kirchner, der Komponist Otto Klemperer oder der Dramatiker Carl Sternheim. Sie leiden an "Neurasthenie" ("Nervenschwäche"), der Krankheit dieser Zeit. "Der Krieg, wer leidet mehr darunter als ich, wen hat es mehr im Innersten getroffen?", fragt etwa Patient und Architekt Henry van de Velde.

Refugium für Kreative

Leiter des Sanatoriums ist der Neurologe Oskar Felix Kohnstamm. Der am 13. April 1871 im hessischen Pfungstadt geborene Arzt bietet Kreativen ein Refugium und baut sie wieder auf. Einige seiner Patienten kommen aus Berlin, wo Kohnstamm studiert und persönliche Kontakte geknüpft hat.

Als Sohn eines Talmud-Lehrers hat er sich selbstständig gemacht. Jüdischen Medizinern wird damals der Zugang zu Universitätskliniken oft verwehrt. Kohnstamm bezeichnet sich als "Dissident", ist also nicht gläubig. Aber er versteht sich als Patriot: Seine Arbeit an den Patienten ist sein Dienst am Vaterland während des Krieges.

Atmosphäre für neue Werke

Im Speisesaal wird abends gemeinsam getafelt, als wäre die Einrichtung keine psychiatrische Klinik. Das Personal serviert gehobene Küche - den Patienten, Kohnstamm, seiner Frau Eva - eine ebenfalls promovierte Medizinerin - und Gästen von außerhalb.

In dieser Atmosphäre entstehen neue Werke. Klemperer komponiert die Oper "Das Ziel", Kirchner malt einen ganzen Raum mit Fresken aus, und der Autor Gerdt von Bassewitz schreibt das Buch "Peterchens Mondfahrt", dessen Hauptfiguren vermutlich Kohnstamms Kinder Peter und Anneliese zum Vorbild haben.

"Wie ein Soldat"

Im Juni 1916 meldet die "Taunus-Zeitung", dass Kohnstamms ältester Sohn Rudolf als "kriegsfreiwilliger Leutnant" mit 19 Jahren bei Verdun den "ehrenvollen Heldentod" gestorben sei. Sein Vater, der sein Sanatorium im Krieg in ein Lazarett umgewandelt hat, zerbricht daran.

Über Wochen ignoriert er seine Bauchschmerzen: "Ich habe keine Zeit, mich operieren zu lassen. Ich sitze hier in meinem Lazarett auf Posten wie ein Soldat." Am 16. November 1917 stirbt Oskar Kohnstamm mit 46 Jahren in Frankfurt am Main an einem Blinddarm-Durchbruch.

Autor des Hörfunkbeitrags: Uwe Schulz
Redaktion: Hildegard Schulte

Programmtipps:

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 13. April 2021 an Oskar Kohnstamm. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.

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