Europa Mitte des 19. Jahrhunderts. Veränderung liegt in der Luft. Die Schweiz wird ein demokratischer Bundesstaat, die Niederlande eine konstitutionelle Monarchie. In Italien regt sich Protest gegen das Habsburger Herrscherhaus in Wien. Polen kämpft nach seiner fatalen Teilung durch die Supermächte Preußen, Österreich und Russland um nationale Einheit. Im Deutschen Bund wächst das politische Engagement des Bürgertums. In Frankreich flieht der König.
Klaus Ries, Professor für neuere Geschichte an der Universität in Jena: "Durch diese Ausbrüche entsteht eine revolutionäre Stimmung, so dass das Nachbarland zu Frankreich, das Großherzogtum Baden, am ersten betroffen ist. Und dort sind auch die sozialen und ökonomischen Probleme relativ scharf."
Bürgerliche Wünsche nach Einheit und Freiheit
Die Ausgangslage: Der 1815 auf dem Wiener Kongress gegründete Deutsche Bund ist kein einheitlicher Bundesstaat, sondern ein loser Staatenbund. Ein Verein mit mehr als 40 Mitgliedern wie Österreich, Preußen, Bayern, Hannover, Sachsen, Baden. Seine Mitte: die Bundesversammlung in Frankfurt. Ein Gesandtenkongress, keine Zentralregierung. Der bürgerliche Wunsch nach Einheit und Freiheit bleibt ein Traum.
In Deutschland stehen die Zeichen bis in die 1840er-Jahre auf Restauration statt Reformen. Spitzeltum, Verfolgung, Zensur sind an der Tagesordnung in der sogenannten Ära des Vormärz, wie die Zeit vor der Märzrevolution 1848 im Rückblick genannt wird.
Dass schließlich gegen die restaurativen Verhältnisse aufbegehrt wird, liegt auch an Katastrophen und ökonomischen Veränderungen. Von Pilzen befallene Kartoffeln, Missernten, explodierende Getreidepreise führen zu Hungersnöten und stürzen Menschen in bitterste Armut. Tagelöhner verpfänden ihre Kleidung. Fabriken entstehen, zum Beispiel für den Bau von Eisenbahnen. Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen verlieren ihre Existenz. Es ist die Zeit der Frühindustrialisierung.
Die Forderungen der Mannheimer Bürgerschaft
Mannheim, 27. Februar 1848. Am Nachmittag ziehen hunderte Menschen in den Norden der Stadt, zur Aula des einstigen Jesuitengymnasiums und späteren Lyceums. 2.500 Frauen und Männer sitzen und stehen im Saal, auf der Galerie, den Gängen, den Treppen. Sie hören den gerade ausgearbeiteten Text einer Petition, die als Märzforderungen in die Geschichte eingeht.
Die Forderungen: "Erstens Volksbewaffnung mit freien Wahlen der Offiziere. Zweitens unbedingte Preßfreiheit. Drittens Schwurgerichte nach dem Vorbild Englands. Viertens sofortige Herstellung eines deutschen Parlamentes." Übergeben wird die Petition dem Innenministier des Großherzogs. Es herrscht eine euphorische Feierstimmung.
Schnell lenkt der Großherzog ein, stimmt den Forderungen zu und bildet ein sogenanntes Märzministerium, das heißt eine Regierung mit oppositionellen Liberalen an der Spitze. Baden macht Schule. Über Ländergrenzen hinweg werden Petitionen nach dem Mannheimer Vorbild verfasst und Märzministerien gebildet. In Österreich und Preußen aber fordern blutige Barrikadenkämpfe Todesopfer, die berühmten Märzgefallenen.
Versammlungen, Proteste, Straßenkämpfe bringen relativ schnelle Erfolge. Die bürgerliche Mehrheit will Reformen, eine Verfassung und ein Zentralorgan. Ende März 1848 zieht das sogenannte Vorparlament in die Paulskirche in Frankfurt am Main ein. Doch die Revolutionäre können sich nicht auf ein Ziel einigen: konstitutionelle Monarchie oder Republik? Am Ende siegen mit aller Gewalt die reaktionären Kräfte in Deutschland. Viele Revolutionäre müssen ins Ausland fliehen.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Claudia Friedrich
Redaktion: Matti Hesse
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 27. Februar 2023 an den Beginn der deutschen Revolution und die Mannheimer Märzforderungen. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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