29. Juli 1927 - Der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch wird geboren

Stand: 18.07.2022, 14:50 Uhr

"In Holland bin ich weltberühmt", spottet der Schriftsteller Harry Mulisch zu Beginn der 1980er-Jahre. Doch das ändert sich schlagartig - mit einem komplexen Roman, der während der deutschen Okkupation der Niederlande spielt.

Den Weltruhm von Harry Mulisch begründet 1982 sein Werk "Das Attentat". Darin erzählt er die Geschichte von der Ermordung eines Nazi-Kollaborateurs durch niederländische Widerstandskämpfer und von der Rache der deutschen Besatzer an einer unbeteiligten Familie. Nach dem Zweiten Weltkrieg forscht der einzige Überlebende der Familie nach den Hintergründen - und findet statt eindeutiger Schuld ein Geflecht tragischer Verwicklungen.

Der niederländische Autor setzt sich im Roman mit dem Spannungsfeld von Tätern und Opfern auseinander - wie es ihn seit seiner Kindheit beschäftigt. Mulisch wird am 29. Juli 1927 in Haarlem geboren. Sein Vater ist ein Bankier, der aus Österreich stammt, seine Mutter ist eine belgische Jüdin. 1936 lassen sich die beiden scheiden. Als die Wehrmacht vier Jahre später die Niederlande besetzt, gerät der fast 13-jährige Harry in einen existenziellen Zwiespalt.

Harry Mulisch, niederländischer Schriftsteller (Geburtstag, 29.07.1927) WDR ZeitZeichen 29.07.2022 14:33 Min. Verfügbar bis 29.07.2099 WDR 5

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"Ich bin der Zweite Weltkrieg"

Während seine Mutter im Ghetto von Amsterdam interniert wird, wickelt sein nicht-jüdischer Vater konfisziertes jüdisches Vermögen ab. Harry hält weiterhin Kontakt zu beiden Elternteilen. Als die Mutter verhaftet wird, kann der Vater sie und Harry durch seine Verbindungen zu hohen Nazikreisen schützen.

"Es ist schwer für mich zu sagen, mein Vater hat einen Fehler gemacht", sagt Mulisch später. "In dem Moment, wo ich das sage, verurteile ich im Nachhinein meine Mutter zum Tode." Trotzdem ist für ihn klar, dass sein Vater ein Kollaborateur war. Der Schriftsteller bringt die erlebte Spaltung in einem Satz auf den Punkt: "Ich bin der Zweite Weltkrieg."

Oscar für Verfilmung

Der Nationalsozialismus ist das zentrale Thema von Mulischs Literatur. In seinem Roman "Das steinerne Brautbett" von 1959 trifft ein ehemaliger US-Pilot, der Dresden bombardiert hat, nach dem Krieg auf Opfer seines Angriffs. In "Strafsache 40/61" liefert Mulisch 1962 eine literarische Reportage über den Prozess gegen den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann.

"Das Attentat" wird in 16 Sprachen übersetzt und verfilmt. 1987 erhält er den Oscar als beste ausländische Produktion. Noch bekannter wird Mulisch 1992 mit seinem Hauptwerk "Die Entdeckung des Himmels". In diesem Roman streiten zwei Engel. Der eine will die Tafeln mit den Zehn Geboten zurückholen, weil das Experiment Mensch misslungen sei. Der andere will der Menschheit noch eine Chance geben.

Vielfältiges Werk

Mulisch engagiert sich auch politisch. Er bezieht Stellung gegen den Vietnamkrieg und für den Sozialismus. Er bereist Kuba und ist von Fidel Castro fasziniert. Der Schriftsteller verabscheut Zwänge und gilt als eigensinnig, manchen auch als arrogant. Er liebt exquisite Kleidung, schnelle Autos und Frauen.

Trotzdem ist Mulisch einer der produktivsten Schriftsteller seiner Zeit. Neben Romanen schreibt er auch philosophische Abhandlungen, politische Essays, Gedichte, Theaterstücke und Opernlibretti. Er stirbt am 30. Oktober 2010 in Amsterdam mit 83 Jahren an Krebs.

Autorin des Hörfunkbeitrags: Jutta Duhm-Heitzmann
Redaktion: Gesa Rünker

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