16. Dezember 1992 - Der erste Stolperstein wird in Köln verlegt

Kleine Messing-Gedenktafeln auf Gehwegen: Der Künstler Gunter Demnig verlegt seine Stolpersteine vor früheren Wohnungen von NS-Opfern. 1992 setzt er den ersten Erinnerungsstein in Köln - für verfolgte Sinti und Roma.

Am 16. Dezember 1942 ordnet SS-Reichsführer Heinrich Himmler an, alle im Deutschen Reich noch verbliebenen Sinti und Roma zu deportieren. Es seien "Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft" auszuwählen "und in einer Aktion von wenigen Wochen" einzuweisen.

Das Ziel ist die Vernichtung dieser Menschen: "Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz", heißt es in Himmlers sogenanntem Auschwitz-Erlass. Insgesamt werden während des Zweiten Weltkrieges rund 23.000 Sinti und Roma im "Zigeunerlager" in Auschwitz eingesperrt. Fast 90 Prozent von ihnen sterben - durch Giftgas, Folter, Hunger und Krankheiten.

Illegal vor dem Kölner Rathaus platziert

50 Jahre später: Der Künstler Gunter Demnig verlegt am 16. Dezember 1992 vor dem Historischen Rathaus in Köln einen Stein im Straßenpflaster. Darauf ist ein Messingplatte angebracht, die mit dem Text des Auschwitz-Erlasses beschriftet ist. Demnig will damit einen Beitrag zur Diskussion um das Bleiberecht jener Roma leisten, die vor dem Jugoslawienkrieg geflohen sind.

"Diese Verlegung war etwas illegal, aber anders hätten wir es wahrscheinlich überhaupt nicht durchgesetzt", sagt Demnig. Es habe etwas Ärger gegeben, der Stein sei aber im Boden verblieben. "Man hat sich nicht getraut, den einfach wieder rauszureißen."

Der erste Stolperstein wird verlegt (am 16.12.1992) WDR ZeitZeichen 16.12.2022 14:59 Min. Verfügbar bis 16.12.2099 WDR 5

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Stolpersteine bringen "Namen zurück vor die Häuser"

In den folgenden Jahren entwickelt Demnig aus dieser Aktion das Projekt Stolpersteine: "Danach kam eigentlich erst die Idee, wirklich den Namen, den Menschen zurückzubringen vor die Häuser." 1995 verlegt er erneut in Köln erstmals Stolpersteine im noch heute gebräuchlichen Format von zehn mal zehn Zentimetern.

Sie erinnern an alle Opfergruppen des Nationalsozialismus. Auf den Messingtafeln stehen seither neben den Namen der Verfolgten auch Kurz-Angaben zu deren Schicksal. Der 1947 in Berlin geborene Bildhauer lässt sich dabei von einem Wort aus dem Talmud leiten: "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist."

Digital erweitert durch App und Website

Bislang sind mehr als 96.000 Stolpersteine europaweit verlegt worden. "Etwa 95 Prozent habe ich selber verlegt", sagt Demnig. "Aber es gibt jetzt immer mehr Initiativen, die das auch selber machen können." Demnig will mit seinem Projekt vor allem Jugendliche erreichen und ihnen einen anschaulichen Zugang zur jüngeren deutschen Geschichte eröffnen.

Das größte dezentrale Mahnmal der Welt wächst immer weiter. Es kommen nicht nur laufend weitere Steine dazu. Seit Januar 2022 macht der WDR die rund 16.000 Stolpersteine in Nordrhein-Westfalen auch digital zugänglich: mit Graphic Storys, kleinen Hörspielen, Texten und Augmented-Reality-Elementen. Das WDR-Angebot "Stolpersteine in NRW - Gegen das Vergessen" gibt es als App und Website.

Neue Art des Geschichtsunterrichts

Demnig unterstützt die digitale Erweiterung seiner Steine von Anfang an: "Ich denke, dass die App und die Website es nochmal leichter machen für die Schüler, da einzusteigen." Das sei zusätzlich eine neue Art des Geschichtsunterrichts, "wenn sie merken, das war nicht irgendwo, das war in der Umgebung".

Autorin des Hörfunkbeitrags: Martina Meißner
Redaktion: David Rother

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. Dezember 2022 an die Verlegung des ersten Stolpersteins. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

ZeitZeichen am 17.12.2022: Vor 50 Jahren: Der Chirurg Gerhard Küntscher stirbt in Glücksburg