20. April 2001 - Tod des Dirigenten Giuseppe Sinopoli

Stand: 20.04.2021, 10:20 Uhr

Er ist Doktor der Medizin, kann Hieroglyphen wie Noten lesen und studiert Lord Byrons Verse wie Verdis oder Wagners Partituren. Bis zu seinem frühen Tod hat Giuseppe Sinopoli die großen Opern der Romantik im Geist der Moderne neu interpretiert.

Giuseppe Sinopoli, it. Dirigent (Todestag 20.04.2001) WDR ZeitZeichen 20.04.2021 14:51 Min. Verfügbar bis 21.04.2099 WDR 5

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Vieles in Giuseppe Sinopolis Biografie ist höchst außergewöhnlich. Zum Wesenskern der Musik vorzudringen, darin sieht der 1946 in Venedig geborene Dirigent seine Lebensaufgabe. Mit geradezu "erotischem Furor", so seine Biografin Ulrike Kienzle, erforscht Sinopoli von Jugend an, was den Menschen im Innersten bewegt.

Bereits während seiner Zeit auf dem Konservatorium von Venedig studiert Sinopoli parallel in Padua Psychiatrie und Anthropologie. Als angehender Komponist besucht er Kurse in Darmstadt bei Karlheinz Stockhausen und Bruno Maderna, wird Dozent für zeitgenössische Musik in Venedig und promoviert 1972 zum Doktor der Medizin.

Verdis "Aida" neu interpretiert

Der charismatische Newcomer der italienischen Avantgarde erhält bald zahlreiche internationale Kompositionsaufträge. Sein größtes Talent aber entdeckt er in Wien als Dirigentenschüler von Hans Swarowsky. Bei seinem Debüt am Pult 1978 in Venedig erregt Sinopoli mit einer aufwühlenden Neuinszenierung von Verdis "Aida" enormes Aufsehen.

Takt für Takt hat Sinopoli die Ur-Partitur analysiert, ihre Struktur durchleuchtet und unentdeckte Details zu Tage gefördert. Im Geist der Moderne bringt er Verdis Tragödie neu interpretiert auf die Bühne. 1980 feiert Giuseppe Sinopoli an der Deutschen Oper Berlin seinen endgültigen Durchbruch, mit Verdis "Macbeth", den er als psychologisches Drama kongenial ausdeutet.

Eklat an der Deutschen Oper

Mit 40 Jahren hat sich der Universalgelehrte am Taktstock als einer der gefragtesten Dirigenten etabliert. Sinopoli ist Chef des London Philharmonic Orchestra, dirigiert Puccini an der Met, Verdi an der Wiener Staatsoper und Wagner in Bayreuth. Kritiker loben seine klaren, transparenten Aufführungen und Aufnahmen. Altbekanntes erklinge neu und frisch, klangschön und intensiv.

Auch in Berlin, wo seine steile Karriere begann, ist Sinopoli immer wieder zu Gast. 1990 soll er Generalmusikdirektor der Deutschen Oper werden, doch nach einem Streit mit Intendant Götz Friedrich lehnt Sinopoli überraschend ab, ihre Freundschaft zerbricht. Erst elf Jahre später, wenige Monate vor beider Tod, versöhnen sie sich wieder.

Herztod am Pult

Giuseppe Sinopoli dirigiert die Sächsische Staatskapelle Dresden | Bildquelle: imago images/Milestone Media

Eine enge, dauerhafte Beziehung geht Sinopoli mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden ein, deren Chefdirigent er 1992 wird. Zudem beginnt er in Rom ein Archäologie-Studium und legt im Zenit seiner Dirigentenkarriere mit Mitte 50 eine Dissertation über die assyrische Kultur Mesopotamiens vor.

Als Zeichen der Aussöhnung mit dem kurz zuvor verstorbenen Götz Friedrich kehrt Sinopoli mit "Aida" an die Deutsche Oper Berlin zurück. Am 20. April 2001 dirigiert er die erste von zwei geplanten Aufführungen mit solcher Inbrunst, dass dem Publikum der Atem stockt.

Zu Beginn des dritten Aktes erleidet Giuseppe Sinopoli einen Herzinfarkt und bricht am Pult zusammen. Kurz darauf können die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen. "Hätte ich ein zweites Leben", hat Sinopoli einmal gesagt, "würde ich mich von Anfang an zurückziehen und nur für mich denken und forschen."

Autor des Hörfunkbeitrags: Christian Kosfeld
Redaktion: Hildegard Schulte

Programmtipps:

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 20. April an Giuseppe Sinopoli. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.

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