Buch der Woche

"Das Verhalten ziemlich normaler Menschen" von K.J. Reilly

Stand: 15.11.2024, 12:03 Uhr

1700 Meilen zu viert in einem Auto - K. J. Reilly erzählt von einem Road Trip ins Herz der Finsternis und wieder zurück ans Licht.

Asher Hunter, 17, hat vor einem Jahr seine Mutter verloren. "Verloren" klingt allerdings viel zu harmlos für das, was Asher erlebt hat. Seine Mutter wurde vom betrunkenen Fahrer eines Sattelschleppers zu Tode gefahren. Der Fahrer, den Asher "Jack Daniels" nennt, wurde nicht verurteilt, weil die Polizei am Unfallort vergaß, den Blutalkoholgehalt zu messen. Asher hat also eine Riesenwut auf den Täter, der schuld ist am Tod seiner Mutter. Und zugleich fühlt er sich selbst schuldig, weil seine Mutter und er überhaupt nur unterwegs waren, um ihm neue Fußballschuhe zu kaufen.

Asher ist oft wütend und bekommt Panikattacken, und da er mit seinem Therapeuten nicht weiterkommt, meldet sein Vater ihn in einer Trauergruppe an. Asher lernt Henry kennen, einen alten Mann, der ohne die Urne seiner geliebten Frau Evelyn nirgends hingeht. Er trifft Will, der seinen Bruder verloren hat, und Sloane, die um ihren Vater trauert. Dass sie in ähnlichen Situationen sind, verbindet sie, und schließlich finden die vier sich im Auto von Ashers Vater wieder. Ziel: Memphis. Dort lebt der Fahrer des Sattelschleppers, der den Tod von Ashers Mutter verursacht hat - aber das verrät Asher seinen Freunden nicht. Doch auch sie haben jeweils eigene Gründe, ihn zu begleiten. Ihr Road Trip von New Jersey nach Memphis wird zu einer Fahrt ins Herz der Finsternis, zurück ins Leben und zu echter Freundschaft.

K.J. Reillys Jugendroman wurde in den USA geradezu mit Preisen überhäuft, was nicht verwunderlich ist: Einerseits schreibt sie absolut ehrlich darüber, wie schrecklich es sich auch noch lange danach anfühlt, wenn ein geliebter Mensch stirbt, noch dazu gewaltsam. Ashers dunkle Gefühle beschönigt die Autorin nicht. Doch sie beschreibt all ihre Figuren mit ungeheurer Empathie und Zugewandtheit. Außerdem gibt sie ihnen die Fähigkeit, Liebe zu empfinden und zu geben und einander diese mit einem schönen, zum Teil schwarzen Humor zu zeigen.

Die schlimmsten Dinge treffen in diesem Jugendroman auf die schönsten Dinge im Leben, ohne dass das Buch jemals ins Kitschige abrutscht. K. J. Reilly hat ein weises, warmes Buch über die Trauer und über die Kraft der Freundschaft geschrieben.

Eine Rezension von Dina Netz

Literaturangaben:
K. J. Reilly: Das Verhalten ziemlich normaler Menschen
Aus dem Englischen von Ute Mihr
dtv, 352 Seiten, 16 Euro.
Ab 14 Jahren