Zurückweisung an den Grenzen: "schäbig" oder "längst überfällig"?

Stand: 10.09.2024, 16:50 Uhr

Schon vor dem Migrationstreffen zwischen Regierung und Opposition am Nachmittag wurde über die Pläne zu bevorstehenden Grenzkontrollen und Abweisungen diskutiert. Kritik kommt unter anderem aus der Wirtschaft. Die Polizei-Gewerkschaften sind sich uneins. Reaktionen zu den bislang bekannten Plänen.

Das Spitzentreffen zwischen der Ampel-Koalition und der Union sowie den Bundesländern zum Thema Migration findet zwar erst seit Dienstagnachmittag statt. Doch vieles von dem, was dort besprochen werden soll, stand offenbar schon fest. So hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen ab dem 16. September angeordnet.

Parallel erklärte Faeser, die Regierung habe ein Modell für Zurückweisungen von Geflüchteten an den Grenzen entwickelt, das über das bisherige Maß hinausgehe. Ziel der Maßnahmen ist laut Faeser die Begrenzung der irregulären Migration sowie der Schutz der inneren Sicherheit vor islamistischem Terrorismus und grenzüberschreitender Kriminalität.

Die Union hatte die Zurückweisungen an den Grenzen zur Voraussetzung der Gespräche mit der Regierung gemacht. Ansonsten würden sich die Unions-Vertreter der Länder und der Bundestagsfraktion nicht beteiligen, sagte CDU-Chef Friedrich Merz.

Sind die Grünen mit an Bord?

Ob Faesers Vorschläge von allen Ampel-Parteien mitgetragen werden, ist derzeit allerdings unklar. So verwies der Grünen-Parteivorsitzende Omid Nouripour im Deutschlandfunk auf "eine Reihe von Fragen, die jetzt mit dieser Ankündigung einhergehen". Er kenne Faesers Vorschläge nicht im Detail. "Wir sind sehr gespannt, was das ist und sind gerne bereit, alles zu diskutieren, was rechtens und machbar und wirksam ist", so Nouripour.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich offen für strengere Zurückweisungen. Er sei ein klarer Befürworter einer Begrenzung der irregulären Migration, sagte er. Es müsse aber auch eine reguläre Einwanderung geben, um den Arbeits- und Fachkräftemarkt zu stärken. "Asylrecht darf nicht ständig mit Einwanderungspolitik vermischt werden", sagte Kretschmann.

Irene Mihalic, Grünen-Innenpolitikerin | Bildquelle: IMAGO/Metodi Popow

Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic befürchtet eine Kettenreaktion, sollte Deutschland umfassend an den Grenzen zurückweisen. "Das hätte natürlich einen Dominoeffekt zur Folge", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion im ARD-Morgenmagazin. Mihalic warnte vor einer Aussetzung internationalen Rechts und einer Spaltung Europas: "Der Leidtragende wäre Deutschland. Denn wir profitieren von der europäischen Einigung, gerade auch in Migrationsfragen."

Ende der 'Willkommenskultur': Wie weit wollen wir gehen? WDR 5 Tagesgespräch 04.09.2024 45:19 Min. Verfügbar bis 04.09.2025 WDR 5

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EU prüft deutsche Pläne

Die EU-Kommission hat Deutschland am Dienstag an die europäischen Grundregeln erinnert. Von Mitgliedsländern angekündigte Grenzkontrollen müssten "notwendig und verhältnismäßig" sein und den Vorschriften des Schengener Grenzkodex entsprechen, sagte EU-Kommissionssprecherin Anitta Hipper. "Daher sollten derartige Maßnahmen eine absolute Ausnahme bleiben", betonte sie. Ob die neuen deutschen Grenzkontrollen diese Grundprinzipien respektieren, wollten weder Hipper noch Chefsprecher Eric Mamer bewerten. Die Bundesregierung habe die Maßnahmen in Brüssel angemeldet und diese würden nun geprüft, betonten beide. Alles Weitere sei "Spekulation", so Hipper.

Linke sehen "Wettbewerb der Schäbigkeit"

Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler bezeichnete die Vorschläge als "Wettbewerb der Schäbigkeit". Union, SPD und FDP lieferten sich ein Wettrennen mit der AfD bei Maßnahmen zur Abschottung, sagte sie am Dienstag. Es drohe eine "Kettenreaktion" in Europa, wenn Deutschland seine Grenzen "dicht" mache. Dann würden "weitere Staaten folgen und so werden zehntausende Geflüchtete in Italien oder Griechenland stranden", so Wissler.

Der Rat für Migration hält eine Zurückweisung von schutzsuchenden Personen für rechtswidrig. "Die aktuell diskutierte Politik, schutzsuchende Personen an den Grenzen Deutschlands zurückzuweisen, stellt einen gefährlichen Populismus in der migrationspolitischen Debatte dar", hieß es in einer Stellungnahme am Dienstag.

Reem Alabali-Radovan, Integrationsbeauftragte des Bundes | Bildquelle: dpa/ Bernd von Jutrczenka

Die Integrationsbeauftragte des Bundes, Reem Alabali-Radovan, zeigte sich besorgt um die öffentliche Debatte rund um das Thema Migration: "Hier macht mir der Überbietungswettbewerb auch an populistischen Parolen schon große Sorge. Insbesondere wenn es darum geht, Menschen unter Generalverdacht zu stellen oder ganze Menschengruppen in eine Schublade zu stecken", sagte sie dem WDR.

Migration: "Zurückweisungen an Grenze der Knackpunkt" WDR 5 Mittagsecho 10.09.2024 12:57 Min. Verfügbar bis 10.09.2025 WDR 5

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Gewerkschaft der Polizei skeptisch: "Das wird sportlich"

Mit Skepsis reagierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Faesers Ankündigung zu den Grenzkontrollen. Der Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, warf angesichts der bereits jetzt starken Auslastung der Kollegen die Frage nach der Umsetzbarkeit auf. "Das wird eine sehr sportliche Herausforderung", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Korrespondent Philipp Menn aus Berlin zur Asyl-Diskussion Aktuelle Stunde 09.09.2024 39:27 Min. UT Verfügbar bis 31.01.2025 WDR

Die konkurrierende Deutsche Bundespolizeigewerkschaft (DPolG Bundespolizei) hingegen begrüßte Faesers Ankündigung. "Die Grenzkontrollen sind ein längst überfälliger Schritt zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und zur Bekämpfung illegaler Migration", erklärte die Gewerkschaft.

Heiko Teggatz, Vorsitzender DPolG Bundespolizei | Bildquelle: Tagesschau/tagesthemen

Ihr Vorsitzender Heiko Teggatz sagte in den "Tagesthemen" am Montag, dass auch er einen "Dominoeffekt" erwarte. Anders als die Grünen-Politikerin Mihalic sieht er das aber nicht als Drohung, sondern hofft sogar darauf. Er begrüßt, dass dann womöglich auch die Schweiz stärker ihre Grenzen zu Österreich und Italien kontrolliert.

Einen Personalmangel kann Teggatz im Gegensatz zur GdP nicht erkennen. Man habe "ausreichend Kräfte", um diese Aufgabe zu übernehmen. "Wir können das aus dem Alltagsgeschäft heraus stemmen."

Wirtschaft befürchtete Mehrkosten und Aufwand

Auch in der Wirtschaft löste die Ankündigung Faesers Sorgen aus. Einschränkungen der Personenfreizügigkeit bedeuteten für die Wirtschaft immer Verzögerungen und damit Kostensteigerungen, sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands (BGA), Dirk Jandura, dem Handelsblatt. "Sie stören die Logistik und bringen damit Lieferketten durcheinander."

Der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, rechnet mit erheblichen Mehrkosten und Aufwand für betroffene Transportunternehmen. Diese könnten insbesondere für die in den Grenzregionen angesiedelten Betriebe "durchaus existenzbedrohliche Ausmaße annehmen".

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagenturen AFP, dpa, Reuters
  • Redaktionsnetzwerk Deutschland
  • ARD-Morgenmagazin
  • Handelsblatt
  • Rheinische Post
  • Tagesthemen vom 09.09.2024
  • Website der DPolG-Bundespolizeigewerkschaft

Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen und Hörfunk, unter anderem in der "Aktuellen Stunde" um 18.45 Uhr.