Deutsche Bahn: Macht das 9-Euro-Ticket krank?

Stand: 16.07.2022, 14:30 Uhr

Wegen des 9-Euro-Tickets erlebt die Deutsche Bahn einen Fahrgast-Ansturm wie nie. Dem jedoch ist der Konzern aus Gewerkschaftssicht alles andere als gewachsen.

Regelrecht erschüttert zeigen sich die beiden Bahngewerkschaften EVG und GDL. Es geht um die Situation bei der Deutschen Bahn. Seit Einführung des 9-Euro-Tickets zum 1. Juni nutzen mit Abstand mehr Fahrgäste als sonst den Nahverkehr. Doch aus Gewerkschaftssicht ist die Deutsche Bahn damit restlos überfordert, EVG und GDL zeigen sich äußerst besorgt über die Situation des Unternehmens.

"Ich habe solche Zustände wie in diesem Sommer noch nie erlebt", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, der "Welt am Sonntag". "Ich habe bei einem Zug von Rostock nach Hamburg gesehen, wie Menschen buchstäblich aus dem Zug gefallen sind, als die Türen geöffnet wurden", berichtete er.

Viele Bahn-Mitarbeiter an der Belastungsgrenze

Der Fahrgast-Ansturm auf den Nahverkehr seit Anfang Juni führe dazu, dass viele Kolleginnen und Kollegen bereits an der Belastungsgrenze seien, so Burkert. Die Krankenstände seien hoch und stiegen, "wir merken: Das 9-Euro-Ticket macht krank."

Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, sprach von einem Chaos in diesem Sommer, wie er es noch nie erlebt habe bei der Bahn. "Das ist der absolute Super-Gau", sagte er der Zeitung.

Weselsky: System Eisenbahn lässt sich nur sehr langsam verbessern

Gegenüber dem WDR ergänzte Weselsky, das 9-Euro-Ticket zeige überdeutlich, dass man das System Eisenbahn nur sehr langsam verbessern kann: "Dass es Überlastungen geben würde, wussten alle Beteiligten vorher. Jetzt kommen die Fehler der Vergangenheit zum Vorschein, ein kaputt gespartes Netz.“ Die Infrastruktur müsse Möglichkeiten zum Ausweichen und Überholen bieten.

Weiter sagte Weselsky dem WDR, er erwarte, dass der Ansturm durch das 9-Euro-Ticket aufgearbeitet werden muss: "Dann brauchen wir eine Nachbereitungsphase. Alles Material - ob Züge, Rolltreppen oder Toilettenanagen – das an die Grenze belastet wird, wird störungsanfälliger und die Lebensdauer wird verkürzt. Das heißt, wir legen jetzt schon wieder den Grundstein für neue Störungen, weil wir bis an die Grenzen belastet sind."

Die Deutsche Bahn wollte sich auf WDR-Anfrage zu der Gewerkschafts-Kritik nicht äußern.

Deutsche Bahn sucht Mitarbeitende

Die Bahn sucht schon seit einiger Zeit verstärkt nach neuen Mitarbeitern. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben im ersten Halbjahr 2022 über 18.000 neuen Beschäftigten eine Jobzusage erteilt. Der Konzern wolle in diesem Jahr insgesamt rund 24.000 neue Mitarbeitende rekrutieren, rund 15 Prozent mehr als geplant.

Trotz Corona-Krise investiere die Bahn im Rahmen ihrer Strategie "Starke Schiene“ massiv in Infrastruktur, neue Fahrzeuge und Personal. In den letzten drei Jahren hat das Unternehmen eigenen Angaben zufolge über 80.000 Mitarbeitende eingestellt.

Über das Thema berichtet auch die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen am 16.07.2022 um 18.45 Uhr.