Der Direktor der Gesamtschule in Harsewinkel im Kreis Gütersloh hat erstmal keine Zeit für ein Interview. Verständlich. Er muss sich zunächst um seine Schülerinnen und Schüler und die besorgten Eltern kümmern.
An einer Bushaltestelle ganz in der Nähe der Schule hat sich am Mittwoch (23.08.2023) Tragisches ereignet: Wohl wegen eines Streits um eine Uhr soll ein 13-jähriger Junge einem anderen Schüler der Gesamtschule ein Messer in den Körper gestoßen haben.
Inzwischen ist klar: Die Verletzung ist nicht lebensgefährlich. Aber bei der Tat geht es um gefährliche Körperverletzung, sagt die Polizei. Den beschuldigten Jungen haben die Ermittler bereits befragt, er habe sich auch zu der Tat geäußert. Die Ermittler wollten ausschließen, dass noch jemand anderes beteiligt war.
Der 13-Jährige selbst ist strafunmündig. Wie es mit ihm und seiner Familie weitergeht, darum kümmert sich nun das Jugendamt.
Diskussionen in Harsewinkel: Was folgt nun aus so einer Tat?
Derweil sind an der Gesamtschule Psychologen im Einsatz. Vor allem als Ansprechpartner für die Kinder, die das Opfer oder den Täter kannten oder etwas von der Tat mitbekommen haben.
Über einen Handymessenger tauschen sich die Eltern von Fünftklässlern aus, berichtet Figen Ata. Sie ist selbst Mutter von zwei Fünftklässlern und seit Kurzem die Elternvertreterin.
In der Messenger-Gruppe seien viele besorgt, forderten zum Beispiel, alle Schulkinder in Zukunft mit Bodyscannern auf Waffen zu untersuchen und einen Sicherheitsdienst zu installieren, sagt Ata.
"Auch ich wünsche mir mehr Schutz und Betreuung für unser Kinder", sagt Ata. "Die Schulen brauchen mehr Personal und auch die älteren Schüler sollten sich um die jüngeren kümmern. Damit potentielle Täter – egal ob unter den Schülern oder von außerhalb – abgeschreckt werden und merken, dass wir sie sehen."
Gewalttätige Kinder: Eine Aufgabe der Schule oder der Gesellschaft?
Auch, wenn es ein kurzes Telefonat war – dem Direktor der Gesamtschule Harsewinkel, Thomas Schröer, war im Gespräch mit dem WDR Eines wichtig: Er hält es für eine Aufgabe der Gesellschaft, sich zu überlegen, wie solche Gewalt zukünftig verhindert werden kann.
Es könne nicht Aufgabe der Schulgemeinschaft sein, wenn Schüler Waffen bei sich trügen und gewaltbereit seien, sagt er.
Hintergrund: minderjährige Täter sind selten
In rund 5 Prozent der Fälle werden laut der polizeilichen Kriminalstatistik Kinder unter 14 Jahren als Tatverdächtige im Bereich der Gewaltkriminalität registriert. Unter Gewaltkriminalität fällt zum Beispiel gefährliche und schwere Körperverletzung, sexueller Missbrauch, Totschlag und Mord.
Also zum Beispiel auch der gewaltsame Tod einer Zwölfjährigen in Freudenberg im Siegerland im März diesen Jahres, für den laut der Ermittler zwei Kinder verantwortlich sein sollen.
Entwicklung der Fallzahlen wird beobachtet
2019 (vor Corona) gab es deutschlandweit 8267 Fälle von Gewaltkriminalität mit Kindern als Tatverdächtigen. 2020 und 2021 – als Deutschland wegen Corona teilweise im Lockdown war – gab es 7103 bzw 7477 dieser Fälle. 2022 gab es dann einen Anstieg auf 10577 Fälle.
Kriminologen versuchen aktuell die Gründe für den Anstieg im vergangenen Jahr zu finden. Viele halten die Statistik jedoch noch nicht für besonders aussagekräftig.
Wissenschaftler beobachten die Entwicklung solcher Zahlen immer über einen längeren Zeitraum. Denn gerade bei niedrigen Fallzahlen ist ein Anstieg von einem Jahr aufs andere möglicherweise deutlich höher, als er über viele Jahre betrachtet ist.
Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen und im WDR-Hörfunk.