Ein halbes Jahr ist es her, seit der Boden im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien erzitterte. Hunderttausende Häuser stürzten ein, tausende Menschen wurden unter den Trümmern verschüttet. Mehr als 50.000 Menschen kamen bei dem Erdbeben am 6. Februar ums Leben. Mehr als doppelt so viele wurden verletzt.
Die Region versank im Chaos, auch weil die Hilfe in dem Gebiet zunächst nur schleppend anlief. Betroffene klagten über zu wenig Unterstützung bei der Bergung Verletzter und die Opposition warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, nicht genug für den Erbebenschutz getan zu haben. Erdogan versprach damals einen schnellen Wiederaufbau in der Region.
Wiederaufbau geht nur langsam voran
Doch der gestaltet sich schwieriger als gehofft. Zwar gibt die türkische Regierung nach eigenen Angaben allein in diesem Jahr fast 17 Milliarden Euro für den Bau neuer Wohnungen und die Reparatur der Infrastruktur aus und will rund 365.000 Häuser vor allem in den am schlimmsten betroffenen Erdbebengebieten neu bauen. In anderen betroffenen Gebieten stocken die Arbeiten jedoch.
Beispielsweise in der Provinz Hatay am östlichen Rand des Mittelmeers. Dort sind nach Informationen der türkischen Regierung rund 294.000 Gebäude und Wohnungen schwer beschädigt, schon abgerissen oder müssen abgerissen werden. Der Bau neuer Häuser hat aber noch nicht richtig begonnen. Ein Problem stellen Eigentumsverhältnisse dar. Der Staat will in den Zentren der zerstörten Städte Ein- bis Zweifamilienhäuser bauen. Dafür sollen Grundstücke enteignet werden. Die Eigentümer der Grundstücke wehren sich dagegen.
Seit Monaten im Zeltlager
Leidtragende sind Menschen, wie Necla. Seit Monaten lebt sie in einem gerade einmal zehn Quadratmeter großen Zelt in einem Lager für überlebende in Antakya, der Hauptstadt der Provinz Hatay. Dort bekommt sie Essen und Trinken, es gibt Toiletten und Duschen - doch vergleichbar mit der großen Wohnung in der sie vor dem Erdbeben lebte, ist es nicht.
"Hier gibt es keine Privatsphäre, es ist sehr schwierig hier", sagt Necla. "Und dann noch die Hitze. Tagsüber ist es in den Zelten zu stickig. Eigentlich kann man sich wegen der Hitze auch draußen kaum aufhalten. Die Lebensbedingungen sind wirklich schwierig."
Der Traum von der eigenen Wohnung
Auch ihrer Nachbarin im Zeltlager geht es nicht anders. Mit Tränen in den Augen erzählt Nurhan, wie sie manchmal von der Zeit vor dem Erdbeben träumt. "Wenn ich einschlafe, träume ich von meiner Wohnung und wie ich sie putze", erzählt sie. "Als wäre nichts passiert, als hätte es kein Erdbeben gegeben. Wenn ich aufwache, dann die Wirklichkeit: das Zeltlager." Dieser Wirklichkeit können Necla und Nurhan nicht entkommen. Ihnen bleibt nur, es auszuhalten und zu hoffen. Doch es gibt auch Menschen, die sich bewusst für diese Situation entscheiden. Die Eltern von Gürsel Tanriverdi aus Recklinghausen gehören zu ihnen.
Freiwillig zurück ins Erdbebengebiet
Das Ehepaar lebt in Adeyaman, gut 250 Kilometer nordöstlich von Antakya. Als die Erde Anfang Februar bebte, wurde auch ihr Haus zerstört. Tanriverdi holte sie daraufhin zu sich nach Deutschland - in Sicherheit. Doch im Mai dieses Jahres kehrten seine Eltern wieder zurück in die Türkei. In ihre Heimat, zu den Freunden und Bekannten, die wie sie die Katastrophe überlebten.
Tanriverdi kann die Entscheidung verstehen, Sorgen macht er sich trotzdem. "Das Problem ist, es gibt weit und breit keine gute Versorgung", sagt er. "Insofern ist es natürlich schwierig zwei ältere Menschen, die 82 Jahre alt sind, zu versorgen." Dabei gehe es nicht nur um essen und trinken, sondern auch um die medizinische Versorgung.
Betroffene halten zusammen
So widrig die Bedingungen in den betroffenen Gebieten sind, so groß scheint auch der Durchhaltewille der Menschen dort zu sein. Viele haben ihre Heimat nicht verlassen, beißen sich seit sechs Monaten durch, versuchen damit aber auch anderen Mut zu machen. Ganis ist einer von Ihnen.
Nach dem Beben hat er in Antakya einen Container aufgestellt, in dem er einen Imbiss betreibt. Über dem Eingang steht in großen Lettern der Name: "Wir waren nie fort ... Kebap-Laden". Es ist ein Bekenntnis zu seiner vom Erdbeben zerstörten Stadt und für Ganis wie selbstverständlich: "Wie sollen die Menschen sonst wiederkommen?"