Drei Jugendliche aus NRW sind wegen Terrorismusverdachts festgenommen worden: Ein 15-jähriges Mädchen aus Düsseldorf, ein 16-jähriges Mädchen aus dem Märkischen Kreis und ein 15-jähriger Junge aus dem Kreis Soest. Sie sitzen laut Generalstaatsanwaltschaft seit dem Osterwochenende wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft.
Sie sollen zusammen mit einem 16-Jährigen aus Ostfildern (Kreis Esslingen) in Baden-Württemberg Terroranschläge geplant haben. Auch der Jugendliche aus Ostfildern kam in Untersuchungshaft.
Verbindung in die Schweiz
Wie am Samstag bekannt wurde, gibt es in dem Fall offenbar eine Verbindung in die Schweiz. Dort waren ebenfalls am Osterwochenende drei Jugendliche wegen mutmaßlicher dschihadistischer Anschlagspläne festgenommen worden.
Die zwei Schweizer im Alter von 15 und 18 Jahren sowie ein 16-jähriger Italiener sollen nach Angaben der Schweizer Bundesstaatsanwaltschaft Sprengstoffattentate geplant haben. Auch sie sitzen in U-Haft. Die Schweizer Bundesanwaltschaft bestätigte die "Verbindungen". Man stehe daher "mit den zuständigen deutschen Behörden in Kontakt".
Angriffe mit Messern und Molotowcocktails geplant
Die in Deutschland festgenommenen Jugendlichen seien nach bisherigen Ermittlungen, "dringend verdächtig, ernstlich verabredet zu haben, einen islamistisch motivierten Anschlag zu begehen", so Holger Heming von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf gegenüber dem WDR. Sie sollen sich laut Ermittlern zu einem Verbrechen - Mord und Totschlag - in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat bereit erklärt haben. Man habe über Angriffe mit Messern und Molotowcocktails auf Menschen in Kirchen, oder Polizisten in Polizeiwachen nachgedacht.
Wo sollte der Anschlag stattfinden? Wie konkret waren die Pläne?
Einen genauen Anschlagsplan mit Zeit und Ort soll es laut den Ermittlern noch nicht gegeben haben. Als Anschlagsstädte seien aber Dortmund, Düsseldorf und Köln diskutiert worden. NRW-Innenminister Reul sagte, zudem hätten "christliche Einrichtungen und Synagogen in Iserlohn im Fokus" gestanden.
Wie groß die Gefahr war, dass die Jugendlichen ihre Pläne auch umsetzen würden, ist derzeit unklar. Der Kriminalpsychologe Christian Lüdke sagte hierzu: "Von dem Punkt, wo ich nur diese Fantasie habe, wo ich die Pläne habe, bis zur konkreten Umsetzung, ist es nur ein ganz kleiner Schritt. Man sagt in der Psychologie: 'Denken ist Probehandeln.' Das heißt also, wenn ich solche Szenarien immer und immer wieder einfach nur bespreche, thematisiere, dann ist das schon sehr konkret - und dann braucht es oft nur einen Anlass, einen Auslöser. Und dann wird dieser teuflische Plan in die Tat umgesetzt."
Wie kamen die Ermittler auf die Spur der Jugendlichen?
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) schilderte am Freitag in Düsseldorf den Verlauf der Ermittlungen: Demnach habe zunächst der Staatsschutz in Hagen gegen eine 16-Jährige aus Iserlohn wegen einer geplanten Ausreise ermittelt. Sie habe im Kontakt mit einer 15-jährigen Deutsch-Marokkanerin in Düsseldorf gestanden. Bei der Auswertung von beschlagnahmten Smartphones seien die Ermittler auf einen weiteren Chat mit anderen Teilnehmern gestoßen. In diesem Chat seien terroristische Anschlagspläne diskutiert worden.
Die Ermittler aus Hagen und Düsseldorf hätten dann zusammen mit dem Landeskriminalamt die weiteren Chat-Teilnehmer ermittelt. Dazu gehöre eine 16-Jährige aus Iserlohn, die, wie Reul sagte, "keine Unbekannte für die Polizei" war, weil gegen sie bereits wegen Ausreiseabsichten ermittelt worden sei. Dabei sei es um eine Ausreise in den sogenannten Islamischen Staat "mit der Absicht, zu kämpfen" gegangen.
Durch einen bundesweiten Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden konnten dann nach der Darstellung von Reul zwei weitere Chat-Teilnehmer identifiziert werden: ein 15-Jähriger aus Lippstadt (Kreis Soest) und ein 16-Jähriger aus Ostfildern in Baden-Württemberg. Der 15-Jährige aus Lippstadt scheine, das sagte Reul ausdrücklich "unter Vorbehalt", die "treibende Kraft hinter den Anschlagsplänen" zu sein.
Was wurde bei den Durchsuchungen gefunden?
Bei den Durchsuchungen seien "Speichermedien" sichergestellt worden, die jetzt ausgewertet würden. Insbesondere Chatprotokolle würden dabei eine Rolle spielen. Bei der Verdächtigen in Düsseldorf seien außerdem eine Machete und ein Dolch sichergestellt worden. Hinweise auf den Bau von Brandsätzen seien nicht entdeckt worden.
Haben sich die Jugendlichen im Internet radikalisiert? Welche Rolle spielte das familiäre Umfeld?
Wie die Nachrichtenagentur dpa mit Hinweis auf Sicherheitskreise meldete, hätten auch islamistische Influencer eine Rolle gespielt. Diese richteten sich inzwischen gezielt an Jugendliche. Der Vater der Düsseldorfer Verdächtigen soll zudem polizeibekannt sein. Laut "Bild" soll gegen ihn vor Jahren ermittelt worden sein, wegen des Verdachts der Terrorismusfinanzierung. Er soll Spenden für den IS gesammelt haben.
NRW-Innenminister Herbert Reul sagte, dass es wahrscheinlich nicht "die eine Antwort" gebe. Aber als "Erklärungsversuch" ginge er davon aus, dass sich die Jugendlichen wahrscheinlich im Internet durch extremistische Propaganda radikalisiert hätten. Social Media spiele dabei eine große Rolle. Reul regte neben einer besseren Medienerziehung auch an, darüber nachzudenken, ob der Staat stärker regulierend eingreifen müsse. Auch das Elternhaus und die Erziehung junger Menschen spielten eine wichtige Rolle.
Wie sieht die IS-Propaganda aus?
Der Vorsitzende des NRW-Landesverbands des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Oliver Huth, schilderte dem WDR die Strategien des IS: Auf unterschiedlichen Plattformen werde mit Videomaterial geworben. Dabei werde auf vermeintliche Ungerechtigkeiten hingewiesen: Westlichen Ländern würden "unwahre Sachverhalte" unterstellt, die dann in persönlichen Chats oder in Telefonaten weiter ausgebreitet würden.
Dazu gehöre, dass "westliche Mächte die Muslime abschlachten, ermorden, vergewaltigen" und ihnen "alle Kriegsverbrechen, die der IS begangen hat" zugeschrieben würden. Außerdem werbe der IS dafür, dass die Jugendlichen mit Anschlägen auch in Europa aktiv werden könnten. Huth spricht von einer "Radikalisierungsspirale", an deren Ende dann auch die konkrete Tat stehen könne.
Wie geht es nun weiter?
Die Zentralstelle Terrorismusverfolgung Nordrhein-Westfalen (ZenTer NRW) bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hatte Haftbefehle gegen die drei Jugendlichen beantragt. Das Amtsgericht Düsseldorf hat am Osterwochenende die Haftbefehle erlassen. Seitdem befinden die Verdächtigen sich in Untersuchungshaft.
Wie lange dauerten die Ermittlungen?
NRW-Innenminister Reul lobte die Sicherheitsbehörden für die schnelle und gute Arbeit. Er betonte, dass zwischen den ersten Erkenntnissen und der letzten Festnahme nur fünf Tage gelegen haben und es sich um das Osterwochenende handelte.
Aus Ermittlerkreisen hieß es zuvor, ausländische Geheimdienste hätten diesmal "eher keine Rolle gespielt".
Gab es vergleichbare Fälle in letzter Zeit?
Erst im November waren zwei 15 und 16 Jahre alte Jugendliche unter Terrorverdacht festgenommen worden, die mit dem IS sympathisiert und einen Weihnachtsmarkt-Anschlag mit einem Fahrzeug geplant haben sollen. Sie wurden in NRW und Brandenburg in Untersuchungshaft genommen. Bei Durchsuchungen wurden keine Brennstoffe gefunden. Es habe aber ein "sehr konkretes Gedankenmodell" zur Tatplanung gegeben, hatte die Generalstaatsanwaltschaft damals mitgeteilt.
Nimmt die Bedrohungslage zu?
Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter weist darauf hin, man habe seit dem Terror-Überfall der Hamas auf Israel im Oktober letzten Jahres festgestellt, "dass es viele versuchte Anschläge gegeben hat". Es gehe dabei um mindestens acht Anschlagspläne. "Das zeigt, der IS ist aktiv, die terroristische Szene, die salafistische Szene ist aktiv. Das müssen wir ernst nehmen."
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat entsetzt auf die mutmaßlichen Terrorpläne reagiert: "Erneut sehen wir die hohe islamistische Bedrohungslage – und erneut haben unsere Sicherheitsbehörden ihre hohe Wachsamkeit gezeigt und frühzeitig eingegriffen", sagte sie der "Rheinischen Post".
Die islamistische Szene stehe im Fokus des Bundeskriminalamts, des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Sicherheitsbehörden der Länder, sagte die SPD-Politikerin. Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin werde das Vorgehen koordiniert. "Dies ist auch in diesem Fall geschehen, um die Terrorverdächtigen schnell zu identifizieren."
Transparenzhinweis: Die Generalstaatsanwaltschaft hatte Alter und Geschlecht der festgenommenen Jugendlichen aus dem Märkischen Kreis und dem Kreis Soest zunächst falsch kommuniziert. Nach der Korrektur der Pressemitteilung haben auch wir unseren Text angepasst.
Unsere Quellen:
- Presse-Statement von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)
- Pressemitteilung des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf
- Nachrichtenagentur dpa
- WDR-Interview mit Kriminalpsychologe Christian Lüdke
- WDR-Interview mit Holger Heming von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf