Bereicherung oder Eingriff in die Freiheit: Wie gerecht ist eine soziale Pflichtzeit?

Stand: 13.06.2022, 16:27 Uhr

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat angeregt, eine soziale Pflichtzeit für junge Menschen einzuführen. Der Vorschlag hat geteilte Reaktionen ausgelöst.

Was genau hat Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagen?

Frank-Walter Steinmeier hat in der "Bild am Sonntag" eine Diskussion über eine soziale Pflichtzeit angeregt. Junge Männer und Frauen könnten diese bei der Bundeswehr, bei der Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder in Obdachlosenunterkünften ableisten. Den zeitlichen Umfang hält der Bundespräsident dabei bewusst offen, es müsse kein Jahr sein.

Der Vorschlag ist nicht neu, CDU-Vizechef Carsten Linnemann ist schon länger für ein solches "Gesellschaftsjahr". Zum Thema mögliche Vergütung oder Bezahlung hat sich Steinmeier bislang nicht geäußert.

Was erhofft sich Steinmeier davon?

Vor allem einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Steinmeier sagt, die soziale Pflichtzeit könne Vorurteile abbauen und den Gemeinsinn stärken, wenn man "raus aus der eigenen Blase" komme, ganz andere Menschen treffe und "Bürgern in Notlagen" helfen würde.

"Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt", sei eine solche Pflichtzeit sinnvoll, so der Bundespräsident. Die Wehrpflicht möchte Steinmeier allerdings nicht wieder einführen.

Welche Reaktionen gibt es?

Viele Reaktionen sind eher zurückhaltend bis skeptisch. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte, ein solcher Pflichtdienst sei "ein Eingriff in die individuelle Freiheit eines jeden Jugendlichen". Die FDP und die Linke lehnen den Vorschlag ebenfalls ab.

Unterstützung kommt aus der CDU. Ein solches Dienstjahr für junge Menschen könne "viele Vorteile haben und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen", schrieb CDU-Vorstandsmitglied Serap Güler auf Twitter.

Aus den Kommunen kommen Zweifel an der Umsetzbarkeit. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, sagte der Funke Mediengruppe, es sei eine erhebliche Zeitspanne erforderlich um die nötigen Voraussetzungen zu schaffen: "Möglicherweise erfordert eine solche Verpflichtung auch eine Verankerung im Grundgesetz."

Als Zwischenschritt schlug Landsberg vor, die Anreize für den Bundesfreiwilligendienst, das soziale Jahr oder das ehrenamtliche Engagement etwa bei der Feuerwehr zu stärken. Beispielsweise könnte eine solche Tätigkeit anerkannt werden, wenn junge Menschen auf einen Studienplatz warten oder sich für einen Job im öffentlichen Dienst bewerben.

Was sagen die jungen Menschen selbst?

Es gibt in den sozialen Medien sehr unterschiedliche Reaktionen. Einige befürworten den Vorschlag - das sind vor allem die, die berichten, wie bereichernd ihr eigener Freiwilligendienst für sie war. Es wird aber auch betont, dass dringend über eine faire Bezahlung bei diesen Diensten gesprochen werden muss.

Einige beschweren sich, die ältere Generation solle doch auch eine solche Pflichtzeit absolvieren müssen. Nach zwei Jahren Corona-Verzicht der jungen Menschen um die "Alten" zu schützen, sei es unfair, jetzt auch noch diese "soziale Last" auf ihren Schultern abzuladen.

Wie wird freiwilliges Engagement vergütet?

Wer sich freiwillig engagiert, erhält derzeit ein Taschengeld von maximal 423 Euro im Monat. Das ist die gesetzliche Obergrenze, die für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ), das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) gilt. Hinzu kommen können kostenlose Unterkunft, Verpflegung und Dienstkleidung - oder entsprechende Geldleistungen.

Wie viel man insgesamt "verdient", kann jedoch von Träger zu Träger variieren. Unabhängig davon sind die Freiwilligen gesetzlich sozialversichert. Ihre Beiträge für Kranken-, Pflege-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung zahlt also die Einsatzstelle. Außerdem hat man auch während des freiwilligen Dienstes Anspruch auf Kindergeld.

Wer sich freiwillig engagiert, hat darüber hinaus Anspruch auf einen Ausweis. Damit gibt es Vergünstigungen beim ÖPNV und beim Besuch von Museen, Theatern oder Schwimmbädern.

Debatte um Generationen-Gerechtigkeit

Der Vorschlag des Bundespräsidenten lenkt den Fokus auch auf die Frage der Generationen-Gerechtigkeit. Die Zahlen des aktuellen Freiwilligensurveys des Bundesfamilienministeriums zeigen: Besonders bei den Ü65-Jährigen ist der Anteil derer, die sich engagieren, in den vergangenen Jahren stark gestiegen - auf zuletzt 31 Prozent. Allerdings liegt der Anteil der freiwillig Engagierten bei den 30- bis 49-Jährigen bei knapp 45 Prozent, bei den 14- bis 29-Jährigen bei 42 Prozent und bei den 50 bis 64-Jährigen bei knapp 41 Prozent.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version stand irrtümlich, dass über 70 Prozent der ehrenamtlich Engagierten in Deutschland 50 Jahre und älter sind.

Kommentare zum Thema

  • Marie 15.06.2022, 06:55 Uhr

    Ich bin selbst eine junge Erwachsene und muss sagen, dass ich diese Idee total ablehne. Aus meiner Sicht hindert mich das an gewissen Zielen, die man sich nach dem Schulabschluss setzt und außerdem habe ich die letzten 2 Jahre auf mein Sozialleben und meine Erfahrungen in meiner Entwicklung komplett verzichtet. Die Aussage, dass die Jugend zu behütet wäre finde ich einfach nur respektlos, denn hier wird wieder total verallgemeinert. Der Leistungsdruck steigt von Generation zu Generation immer mehr und nicht jeder möchte sich auf diese Art und Weise engagieren. Wir zahlen die Rente, kommen für die Klimakrise auf, verzichten auf unsere sozialen Erfahrungen und Entwicklungen und ich finde das ist schon mehr als genug. Ich würde mir wünschen, dass wir in der Politik auch mal gehört und anerkannt werden, anstatt immer klein gemacht werden. Und dieses Verallgemeinern regt mich einfach nur auf.

  • René Brunke 15.06.2022, 06:31 Uhr

    Dieser Staat gibt einem nichts. Außer HartzIV. Man sucht billige Sklaven. Reichen nicht die 3 Millionen im öffentlichen Dienst ? 8,7 % Inflation auf alles. Ölembargo seit 3 Monaten. Indien kauft zum Spottpreis für billige Importe. Zur Tarnung wird der Obersozi aus H öffentlich verprügelt.

  • Dome 15.06.2022, 05:45 Uhr

    Ja dann dürfen alle Politiker mit der Pflichtzeit mal anfangen. Keine Ausnahmen. Frank walter darf dann für den Vorschlag als erstes ein Jahr durch die pflichtzeit. Was für Clowns. Regeln aufstellen wo die selber nicht drunter fallen. Armutszeugnis für Deutschland.