Millionen Fans weltweit warten schon gespannt: Am 26. Dezember startet die zweite Staffel der südkoreanischen Netflix-Serie "Squid Game". Die erste Staffel war 2021 innerhalb kurzer Zeit zur erfolgreichsten Produktion des Streaming-Dienstes geworden: Vier Wochen nach Veröffentlichung war die Serie von rund 142 Millionen Netflix-Konten abgerufen worden.
Die in der Serie gezeigten Spiele sind äußerst brutal. Eine Gruppe von glücksspielsüchtigen und hoch verschuldeten Menschen muss unter der Beobachtung maskierter Wächter verschiedene Aufgaben lösen. Wer verliert, wird sofort erschossen. Durch jeden Toten erhöht sich die Gewinnsumme. Dem letzten Verbleibenden winkt ein hohes Preisgeld.
Schulen schlugen Alarm
Schon kurz nach dem Start 2021 aber kamen die ersten Meldungen von Schulen: Vielerorts spielten Kinder und Jugendliche das Spiel offenbar auf dem Schulhof nach. Verlierer würden geohrfeigt oder beschimpft. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband sprach von einer "neuen Qualität" der Gewalt, in Berlin warnte eine Grundschule die Eltern vor der Serie aus Südkorea.
Aus Belgien und England kamen ähnliche Meldungen. In New York erließ eine Grundschule ein Verbot, sich an Halloween wie Figuren aus "Squid Game" zu verkleiden. Auch das NRW-Schulministerium meldete, dass es vereinzelt bereits an Schulen zu Auseinandersetzungen und Schlägen gekommen sei, während die Serie nachgespielt wurde.
Kritik am sozialen System
Regisseur und Macher der Serie Hwang Dong-hyuk zeigte sich damals "schockiert" angesichts solcher Meldungen. Jetzt erklärte er gegenüber der Deutschen Presseagentur: "Die Gewalt, die wir in 'Squid Game' zeigen, wenn Mitspieler ausscheiden, ist nicht bloß dafür da, um Gewalt zu zeigen." Es sei eine Allegorie dafür, wie ein kapitalistisches System mit seinen Verlierern umgehe. "Das Sozialsystem schaut einfach untätig zu und wartet auf den langsamen und schmerzhaften Tod derjenigen, die bei diesem grenzenlosen Wettkampf auf der Strecke bleiben."
Der Regisseur weist darauf hin, dass seine Serie - trotz der Kinderspiele, um die es darin geht - nicht für junge Menschen gedacht sei. "Sie ist für Erwachsene gemacht, die die Fähigkeit besitzen, den Kontext und die Botschaft der Serie zu verstehen." Netflix empfiehlt das Format ab 16 Jahren.
Influencer befeuern den Hype
Dennoch verzeichnete "Squid Game" (deutsch: "Tintenfisch-Spiel") auch unter Kindern und Jugendlichen einen Hype. Die meisten Kinder hätten die Serie vermutlich nie ganz gesehen, sondern nur einzelne Sequenzen im Internet oder als Memes in Sozialen Medien, sagt Michael Moser, Medienwissenschaftler an der Universität Marburg. Tiktok sei voll von solchen Schnipseln.
Influencer befeuerten den Hype, und so fänden das natürlich auch Kinder spannend. Wer sich dabei besonders krasse Szenen ansehe, sei vielleicht in der eigenen Peergroup "der Coolste", so Mosel in einem Videopodcast der Baden-Württembergischen Landesinitiative Medienfokus.
"Gutes Gesprächsthema" bei Kindern
"Das Anschauen der Videos wird zum Gemeinschaftserlebnis", schreibt die EU-Initiative "Klicksafe" auf einer Infoseite zu Squid Game für Eltern. Besonders extreme Inhalte gäben ein gutes Gesprächsthema in der Gruppe ab oder würden zur Anerkennung dafür genutzt, dass man "mitreden" könne.
Ein reines Verbot sei in der Regel zwecklos, schreiben die Medienexperten von Klicksafe – vor allem dann, wenn Serien wie Squid Game bereits die ganze Klasse beschäftigten. "Sprechen Sie mit Ihrem Kind und lassen Sie sich die Serie erklären, erläutern Sie dabei Ihre Sorgen und Bedenken", heißt es. Kinder, die sich aus Gruppenzwang mit solchen gewalthaltigen Inhalten beschäftigen, seien froh, wenn Eltern vehement eingreifen und das Serienschauen verbieten, so Klicksafe.
Die Neugier auf Mediengewalt bei Kindern und Jugendlichen sei kein neues Phänomen, sagte Medienforscher Mosel. Viele Studien belegten aber, dass Gewalt in Medien nur selten der Auslöser für gewalttätiges oder aggressives Verhalten von Kindern sei. Vielmehr seien die Reaktion auf gewaltvolle Szenen meist Angst oder Schlafprobleme. Gewalttätiges Verhalten würde viel öfter durch Mobbing, Gewalt im Elternhaus oder soziale Probleme in der Gruppe ausgelöst.
Was können Eltern tun?
Wenn Kinder "Squid Game"-Szenen auf dem Schulhof nachspielen, sollten Eltern "erstmal entspannt bleiben", rät Mosel, der selber einen Sohn im Grundschulalter hat. Problematisch würde es natürlich, wenn Kinder sich dann, wie berichtet wurde, gegenseitig ohrfeigen.
Mosel rät Eltern - nicht nur beim Thema "Squid Game" - zu "aktiver Medienerziehung": Kinder und Eltern sollten sich die fraglichen Inhalte gemeinsam ansehen. Dabei sollten die über das, was gesehen wird, reden.
"Einordnen, verdeutlichen, inwiefern das die reale Welt darstellt oder nicht, das Gesehene greifbar und verständlich machen." Ganz wichtig: "Selber bewerten", sagt Mosel, "zustimmen oder auch ganz explizit ablehnen". Wenn Eltern "Squid Game" kommentarlos mit anschauen, sei die Botschaft an die Kinder: "Wenn meine Eltern das ansehen und nichts sagen, ist das ja wohl okay."
Über dieses Thema berichten wir auch am 27.12.2024 im WDR Hörfunk: 1LIVE ab 9 Uhr.
Quellen:
- Onlineartikel bei CBS und BBC
- Deutsche Presseagentur
- Pressemitteilung Bildungsministerium NRW
- Infoseite der EU-Initiative "Klicksafe"
- Interview der Baden-Württembergischen Landesinitiative Medienfokus mit Medienwissenschaftler Michael Mosel