China: Spionageballon-Abschuss durch USA "Überreaktion"

Stand: 06.02.2023, 08:20 Uhr

Die USA haben einen mutmaßlichen Spionageballon abgeschossen, den sie China zuordnen. China zeigt sich verärgert - und spricht von einer "Überreaktion" der USA.

Im Nordwesten der USA im Bundesstaat Montana wurde der Ballon zuerst entdeckt - dann wurde er vor der Küste von North und South Carolina von einem US-Kampfflugzeug abgeschossen. China ist verärgert - und bestellt den Geschäftsträger der amerikanischen Botschaft in Peking ein.

Was soll es mit dem Ballon auf sich haben?

Direkt nach dem Abschuss begannen die US-Streitkräfte in den relativ flachen Küstengewässern, Trümmerteile zu bergen. Diese sollen genau untersucht werden. Die USA erhoffen sich Aufschluss über die genauen technischen Fähigkeiten des chinesischen Ballons.

Nach Angaben des Pentagons sollte der Ballon hochsensible Stützpunkte für US-Atomwaffen ausspionieren. Auf einem Stützpunkt der US-Luftwaffe in Montana lagern nach Angaben des "Wall Street Journal" 150 mit Atomsprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen vom Typ Minuteman III.

Wie reagiert China auf den Abschuss?

Aus Protest hat Chinas Außenministerium den Geschäftsträger der amerikanischen Botschaft in Peking einbestellt. Wie das Außenamt am Montag mitteilte, sagte Vizeaußenminister Xie Feng, das Eindringen des Ballons sei nur ein "Unfall" gewesen, der durch "höhere Gewalt" passiert sei.

"Die Fakten sind klar und können nicht verdreht werden." Chinas Vizeaußenminister Xie Feng

Trotzdem hätten sich die USA "taub gestellt" und darauf bestanden, "Gewalt gegen ein ziviles Luftschiff zu missbrauchen, das dabei war, den Luftraum der USA zu verlassen". Es sei eine "offensichtliche Überreaktion" gewesen und verletze "den Geist des Völkerrechts und internationale Normen", wurde der Vizeaußenminister zitiert.

Die USA hätten damit die Bemühungen und Fortschritte auf beiden Seiten, die Beziehungen seit dem Treffen von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden im November zu stabilisieren, "ernsthaft beeinträchtigt und beschädigt", sagte Xie Feng nach diesen Angaben.

Wie reagieren die USA auf den Vorfall?

Angesichts von Spionagevorwürfen der USA gegen China hatte US-Außenminister Antony Blinken eine geplante Reise nach Peking abgesagt. Blinken betonte aber, die Gesprächskanäle nach Peking offen zu halten und seinen zunächst abgesagten China-Besuch nachholen zu wollen, sobald es die Umstände erlaubten.

Wurde wirklich noch ein zweiter Ballon gesichtet?

Ein weiterer Ballon soll in Lateinamerika gesichtet worden sein. Kolumbien hat Angaben des US-Verteidigungsministeriums zufolge bestätigt, dass ein zweiter mutmaßlich chinesischer Ballon gesichtet wurde, der dem nun über den USA abgeschossenen Objekt ähnelt.

Wie glaubwürdig ist die Version des verirrten Wetterballons?

Christopher Nehring, Geheimdienstexperte und Gastdozent der Konrad-Adenauer-Stiftung, hält Chinas Version für sehr unglaubwürdig. Die Flugroute scheint zu genau berechnet worden zu sein für einen Zufall. Auch der deutsche Wetterdienst erklärt gegenüber dem WDR, dass Wetterballone sich grundsätzlich von dem Ballon, der über den USA aufgetaucht ist, unterscheiden würden.

Laut Gudrun Engel, US-Korrespondentin der ARD, lässt die Flugroute aus Sicht der USA Rückschlüsse darauf zu, dass der Ballon Spionagezwecken gedient haben könnte. Der Ballon sei über drei Luftwaffenstützpunkte der US-Armee geflogen. In einem dieser Stützpunkte soll das US-Militär Interkontinentalraketen mit Nuklearsprengköpfen lagern.

Laut William Kim, einem Experten für Überwachungsballons von der Denkfabrik Marathon Initiative in Washington, wies der Ballon gewisse Besonderheiten auf. Seine "Ladung" sei ziemlich groß - ein Hinweis auf die darin enthaltene und von Solarzellen gespeiste Elektronik zur Lenkung und zum Sammeln von Informationen. Auch soll der Ballon laut Kim über moderne Steuerungstechnologien verfügen. Bedeutet: Spionage erscheint wahrscheinlich.

Geheimdienstexperte Leo Martin | Bildquelle: picture alliance / SZ Photo

Der Kriminalwissenschaftler und Ex-Geheimagent Leo Martin verwies auf die Internet- und Satellitenüberwachung der chinesischen Geheimdienste, für die "mehrere Hunderttausend Mitarbeiter" tätig seien. Man könne zwar im Falles des Ballons von Spionage sprechen. Angesichts der Datenmengen, die China auf andere Weise erheben würde, wirke ein einzelner Ballon jedoch "sehr hausbacken", sagte er dem WDR.

Können wir Spionageballone von der Erde aus leicht erkennen?

Flughöhen von Flugzeugen, Spionageballonen und Satelliten | Bildquelle: wdr

Spionageballons operieren viel höher als man vermuten würde. Etwa bei 20 bis 30 Kilometer über dem Boden, sagte der Geheimdienstexperte Nehring. Mit bloßem Auge ließen sich solche Ballons häufig nicht erkennen. Zum Vergleich: Heißluftballone sind in der Regel zwischen 300 Metern bis 3 Kilometer über der Erde unterwegs. Verkehrsflugzeuge bis etwa 12 Kilometer Höhe.

Warum nutzt man keine Satellitenbilder in der Spionage?

"Satellitenbilder sind häufig nur Momentaufnahmen", sagt Peter Welchering von der WDR-Wissenschaftsredaktion. "Es ist schwierig, Satelliten so zu stabilisieren, dass sie viele Bilder über eine längere Zeit vom selben Ort machen." Man dürfe aber auch nicht den Fehler machen, das als entweder-oder zu sehen, sagte Geheimdienstexperte Nehring. Bilder von Spionage-Ballone lieferten womöglich andere Blickwinkel oder Perspektiven und seien als Ergänzung zu den Satellitenbildern zu sehen.

Welche Vorteile haben Spionage-Ballons?

Spionage-Ballons seien sehr weit unten in der Eskalationsstufe, so Nehring: "Mit Flugzeugen oder Drohnen den Luftraum zu verletzen, wäre hoch eskalativ. Bei Ballons ist die Gefahr kleiner, das sie nicht direkt von jemandem vor Ort gesteuert werden müssen. China kann sich immer darauf berufen, dass das nur ein verirrter Wetterballon sei und es sich nicht um Spionage handelt."