Der 62 Jahre alte Patient erhole sich gut von dem vierstündigen Eingriff, der am Samstag in Boston durchgeführt wurde, teilte das Massachusetts General Hospital am Donnerstag mit. Er könne voraussichtlich schon bald aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Allein in Deutschland warten viele Tausend Menschen auf eine Nierentransplantation. Doch Spenderorgane sind rar - viele Kranke haben deshalb keine reelle Chance auf eine potenziell lebensrettende Operation. Sind Organe von Tieren die Lösung des Problems? Fragen und Antworten.
Wer ist der Patient, der mit einer Schweineniere lebt?
Der Empfänger der Schweineniere - Richard Slayman aus dem US-Bundesstaat Massachusetts - leidet an einer Nierenerkrankung im fortgeschrittenen Stadium. Slayman hatte bereits 2018 eine menschliche Spenderniere erhalten. Im vergangenen Jahr waren aber erneut Probleme mit dem Organ aufgetreten. Zuletzt hatte sich Slayman einer Dialyse unterziehen müssen. Nach dem Verlust eines Gefäßzugangs war dies aber nicht mehr möglich. Ohne die Transplantation hätten seine Überlebenschancen wohl schlecht gestanden.
Was ist das Besondere an der jüngsten Operation?
Die Verpflanzung von menschlichen Nieren gehört seit vielen Jahren zum medizinischen Repertoire. Tausende Patienten weltweit unterziehen sich jedes Jahr der Operation, erheblich mehr Kranke warten aber weiter vergeblich auf ein passendes Spenderorgan. Die Mediziner in Boston sprachen deshalb auch von einem "Meilenstein" bei den Bemühungen um eine ausreichende Versorgung mit Spenderorganen. Erstmals wurde einem Menschen eine vollständige Schweineniere implantiert. Deshalb gilt die aktuelle Operation in den USA auch als ein gewaltiger Entwicklungssprung für die so genannte "Xenotransplantations"-Technik (xénos: altgriechisch für "fremd").
Frühere Transplantationen von Schweinenieren hatten nur bei Patienten stattgefunden, die bereits hirntot waren. Bei diesen als klinisch tot geltenden Menschen hatten die genetisch angepasste Schweinenieren ihre Funktionen normal ausgeübt.
Wie funktioniert die Zucht der Spendertiere?
Grundsätzlich müssen Tiere für ihren Einsatz als Organspender speziell gezüchtet werden. Ohne genetische Anpassung käme es bei der Übertragung der Organe auf Menschen sofort zu schweren Abstoßungsreaktionen. Auch im konkreten Fall wurden zahlreiche Modifikationen am Erbgut vorgenommen, teilte das US-Unternehmen eGenesis mit.
In ihren Biotech-Laboren hatten die Wissenschaftler unter anderem die im Schweine-Genom vorhandenen Antigene deaktiviert, die für die Abstoßung fremden Gewebes verantwortlich sind. Zusätzlich wurde so eine unerwünschte Blutgerinnung in dem fremden Organ gehemmt. Außerdem schleusten die Forscher mehrere menschliche Gene ein, wodurch die Akzeptanz des Fremdorgans durch das Immunsystem zusätzlich verbessert wird. Schließlich mussten noch spezielle Viren inaktiviert werden, die nur in Schweinen vorkommen und Menschen theoretisch schaden können.
Eines Tages könnte der Einsatz von speziell gezüchteten Spendertieren sogar besser für die Patienten sein als menschliche Spenderorgane: Denn bei der Auswahl kann man sich auf junge, kräftige und völlig gesunde Tiere beschränken. Bis die Technik völlig ausgereift ist, wird es aber wohl noch viele Jahre dauern.
Ist der Patient außer Gefahr?
Das wird man erst in einigen Wochen oder Monaten sagen können. Risiken gibt es noch viele: Wie bei jeder Organtransplantation besteht die Gefahr, dass das Immunsystem des Patienten das fremde Gewebe abstößt. Deshalb müssen Transplantierte auch bei einem menschlichen Spenderorgan Medikamente einnehmen, die das Immunsystem unterdrücken - oft ein Leben lang. Schließlich können noch unbekannte Probleme auftreten - es handelt sich schließlich um eine medizinische Pionierleistung.
Für den 62-jährigen Patienten geht das Risiko in Ordnung: Er habe der Operation nicht nur zugestimmt, "um mir selbst zu helfen", teilte er mit. Er habe auch eingewilligt, weil dieses Verfahren "tausenden Menschen Hoffnung gibt, die für ihr Überleben eine Transplantation brauchen".
Warum braucht die Medizin überhaupt Organe von Tieren?
Vor allem in Deutschland gibt es nicht genug Organspender. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation stehen aktuell mehr als 8.000 Menschen auf den Wartelisten der Kliniken. Ein Großteil von ihnen benötigt eine Spenderniere. Der Mangel an Organen liegt hauptsächlich daran, dass viele Menschen zögern, einer Organspende nach dem Tod zuzustimmen. Außerdem kommt eine Organspende in der Regel nur nach dem Hirntod des Spenders oder der Spenderin in Betracht - und der ist insgesamt ein seltenes Phänomen.
Ist es ethisch in Ordnung, Tiere als "Ersatzteillager" zu nutzen?
"Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen", schreibt das deutsche Tierschutzgesetz vor. Inwieweit die speziell für Organtransplantationen gezüchteten Tiere leiden müssen, ist zwar nicht sicher. Dennoch dürfte niemand daran zweifeln, dass die Rettung von unheilbar kranken Menschen ein "vernünftiger Grund" ist.
Auch die großen Religionsgemeinschaften stehen der Xenotransplantation grundsätzlich offen gegenüber. Die evangelische und katholische Kirche in Deutschland hatten bereits in den 1990er-Jahren das Verfahren im Grundsatz legitimiert. Das gilt auch für das Judentum. Im Islam ist der Umgang mit Spenderorganen vom Tier noch umstritten. Insbesondere die Verwendung von Schweinen, die im Islam als "unreine" Tiere gelten, wird von manchen Rechtsgelehrten abgelehnt, andere halten die Implantation solcher Organe nur im äußersten Notfall für zulässig.
Quellen:
- Associated Press (AP)
- Agence France Press (afp)
- Deutsche Presse Agentur
- Pressemitteilung der Biotech-Firma eGenesis
- "Islamportal" der Uni Innsbruck