Lebendige Bibliothek: Menschen ausleihen statt Bücher Lokalzeit aus Aachen 17.06.2024 02:30 Min. Verfügbar bis 17.06.2026 WDR Von Lili Weiler

Lebendige Bibliothek: Menschen ausleihen statt Bücher

Stand: 17.06.2024, 16:30 Uhr

In der "lebendigen Bibliothek" leiht man sich keine Bücher aus, sondern Menschen. Die erzählen einem dann ihre persönliche Geschichte: Flüchtlinge, Obdachlose, Künstler - Menschen, die etwas besonderes erlebt haben.

Von Lili Weiler

Haben Sie sich schon mal gefragt: Wenn mein Leben ein Buch wäre, was wäre dann sein Titel? Bei der "lebendigen Bibliothek" in der Mefferdatisstraße in Aachen haben an diesem Sonntag ein paar Leute eine Antwort darauf gefunden.

Der Raum verwandelt sich an diesem Tag in eine Bibliothek. Für einen Nachmittag lang kann man sich statt Büchern Menschen ausleihen. Die erzählen dann zwanzig Minuten lang vor einer kleinen Zuhörer-Gruppe ihre Geschichte. In mehreren Runden kann man so in mehrere Leben "hineinschnuppern".

Mehr Verständnis für andere entwickeln

Menschen erzählen ihre Geschichte. | Bildquelle: WDR

Dabei entstehen intime Gespräche, viel Austausch - und mehr Verständnis für das Leben des anderen. Menschen erzählen hier von psychischen Krankheiten, Selbstfindung oder von ihrer Beziehung zu Gott. Zum Beispiel Timotheus Eller: Der 60-Jährige spricht zum ersten Mal in seinem Leben von der Hüftkrankheit, die ihn als Kind drei Jahre lang ans Bett gefesselt hat.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen das als befreiend empfinden, wenn man etwas Intimes erzählt. Deswegen bin ich heute hier. Timotheus Eller

Und das löst etwas in den Lesenden aus. Zuhörerin  Ursula Tiebel ist bewegt: "Ich hatte eine Gänsehaut am ganzen Körper", sagt sie. "Ich habe über sowas immer nur gelesen, und es ist so spannend, so etwas zu hören."

Neben tief bewegenden Geschichten gibt es hier auch Raum für Diskussionen: Lisa Willeka zum Beispiel berichtet von ihrem Kampf für mehr demokratischen Dialog. "Ich nehme mich hier quasi als interaktives Buch wahr", sagt sie lachend. "Ich erzähle nicht nur von mir, sondern wir diskutieren auch viel."

Ein Konzept, das weltweit funktioniert

Organisator der Aktion in Aachen sind die Zeitfenstergemeinde und Lebensbuecher. Das Konzept ist erstmals in Dänemark unter dem Titel "Human Library" ("menschliche Bibliothek") entstanden. Inzwischen gibt es das in über 80 verschiedenen Ländern. Zuhören, zusammen lachen und weinen, den anderen verstehen - das ist das Ziel der lebendigen Bibliothek.

Jeder Erzähler bastelt sich symbolisch einen Buchtitel, der zu seiner Geschichte passt. | Bildquelle: WDR

Das Konzept funktioniert so gut, dass es schon nächste Termine gibt - die findet man man unter lebensbuecher.org. Denn am Ende bleibt vor allem eins: die Erkenntnis, dass man ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen sollte.

Unsere Quellen:

  • humanlibrary.org
  • Reporterin vor Ort

Über dieses Thema berichtet der WDR am 17.06.2024 auch im Fernsehen in der Lokalzeit aus Aachen um 19:30 Uhr.