Es kommt nicht häufig vor, dass Entscheidungen des EU-Parlaments eine große Aufmerksamkeit bekommen. Was in Straßburg und Brüssel beschlossen wird, erreicht viele Menschen oftmals nicht. Mit einer Entscheidung von Mittwoch ist das anders. Sie sorgt für Diskussionen - auch in NRW.
Konkret geht es um das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, kurz: Renaturierungsgesetz. Das Parlament hat gegen den massiven Widerstand konservativer und rechter Abgeordneter am Mittwoch dafür gestimmt. Es ist ein zentraler Teil des Klimaschutzpakets "Green Deal" der EU-Kommission. Damit soll die Union bis 2050 klimaneutral werden. Das Gesetz soll dafür sorgen, dass in den kommenden Jahrzehnten gefährdete Ökosysteme wieder hergestellt werden und dadurch mehr Kohlenstoff in der Natur gespeichert wird.
Landwirte befürchten Belastungen
Auf den ersten Blick klingt das gut. Doch es gibt Widerstände. Die kommen vor allem aus den Reihen der Landwirte. Sie befürchten zu viele Vorschriften, Verbote beim Pestizideinsatz und den Verlust von Flächen. So spricht der Präsident des Rheinischen Landwirtschafts-Verband (RLV), Bernhard Conzen, von einer "kalten Enteignung", wenn Ackerflächen nicht mehr genutzt werden sollten. Das sei der "völlig falsche Ansatz", sagte er dem WDR. Zudem drohe ein "quasi Pflanzenschutzverbot". Sein Verband befürchtet einen "deutlichen Rückgang" von Ernten und der Lebensmittelerzeugung.
Die Landwirte sagen also, dass die Schutzmaßnahmen sie zu sehr einschränken würden. Befürworter des Gesetzes weisen auf ganz andere Punkte hin. Insgesamt soll es bis 2030 für mindestens 20 Prozent der Flächen und Meeresgebiete in der EU eine Renaturierung geben. Konkret sollen Hindernisse für Fische in Flüssen beseitigt, Flüssen mehr Raum gegeben, ursprüngliche Mischwälder wieder aufgeforstet und alte Wälder erhalten werden. Außerdem sollen Fluss-Auen und Moore wiederbewässert werden.
Was nach einer Kleinigkeit klingt, kann vor Ort ganz bedeutend sein. Denn Moore und andere Feuchtgebiete spielen beim Kampf gegen den Klimawandel eine wichtige Rolle: Sie speichern CO2. Und das viel mehr als Wälder. Die Kehrseite der Medaille ist, dass viel Treibhausgas freigesetzt wird, wenn Moore austrocknen.
Das Problem ist, in NRW schrumpfen die Feuchtgebiete seit Jahren. Ende 2016 gab es laut dem Statistischen Landesamt noch insgesamt 32,1 Quadratkilometer Moore und Sümpfe. Ende 2020 waren es nur noch 25,4 Quadratkilometer - rund ein Fünftel weniger. Würde die Zahl wieder zunehmen, könnte das auch beim Kampf gegen den Klimawandel helfen.
Befürworter des Renaturierungsgesetzes meinen, dass genau das der Plan sei. So sagte Dirk Jansen, Geschäftsführer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in NRW, im WDR-Gespräch: "Gesunde Waldökosysteme, gesunde Böden, natürliche Fließgewässer - nur so werden wir die großen Herausforderungen des Klimawandels meistern können." Letztendlich müsse Natur zurückgewonnen und die Artenvielfalt gesichert werden.
Gesetzesentwurf wurde entschärft
Ob all das vom Renaturierungsgesetz geleistet werden kann, muss sich erst noch zeigen. Mit der Zustimmung des EU-Parlaments wurde am Mittwoch eine wichtige Hürde genommen. Allerdings stand am Ende ein deutlich abgeschwächter Entwurf dar. So wurde eine Reihe von Vorgaben entschärft, etwa zur Wiederbewässerung trockengelegter Moore. Auch sprachen sich die Abgeordneten weder für die Schaffung neuer Schutzgebiete aus, noch wollen sie, dass zum Wohle des Naturschutzes der Ausbau der erneuerbaren Energien behindert wird. Das künftige Gesetz soll außerdem eine Klausel enthalten, wonach Zielsetzungen beim Naturschutz verschoben werden können, wenn sich dadurch "außergewöhnliche sozioökonomische Folgen" ergeben.
Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sieht dennoch einen "historischen" Erfolg. Im EU-Parlament habe sich "das Verantwortungsbewusstsein für künftige Generationen durchgesetzt". Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) spricht von einem "Riesenerfolg für die Natur": "Das Gesetz schützt die Natur, damit sie uns schützen kann gegen die Klimakrise und gegen das Artenaussterben."
Verhandlungen gehen weiter
Doch komplett durch ist die Sache noch nicht. Nach dem Votum im EU-Parlament wird es jetzt noch Verhandlungen mit den Umweltministerinnen und -ministern der 27 Mitgliedsstaaten geben. Dort wird über den endgültigen Wortlaut des Gesetzes beraten. Es kann also noch weitere Änderungen geben. Wenn alles klappt, soll das Renaturierungsgesetz bis zu den Europawahlen im Sommer 2024 endgültig verabschiedet werden.