Die Zahl der Neonazi-Aufkleber, Hakenkreuze und weiterer Schmierereien rund um die Dortmunder Möllerbrücke hat in letzter Zeit zugenommen. An dem bei jungen Leuten beliebten Treffpunkt soll eine Gruppe in den letzten Monaten außerdem immer wieder Menschen bedroht oder eingeschüchtert haben. Und zwar Menschen, die sie für "links" oder "Antifas" - also Antifaschisten - hält.
Das bestätigt auch Paul, der am vergangenen Samstag eine Demonstration in Dortmund mitorganisiert hat. "Gegen rechte Gewalt" war das Motto. Sie sollte auch ein Zeichen dafür sein, dass die Betroffenen dieser Übergriffe nicht alleine sind, so Paul. Er möchte nicht, dass wir seinen vollen Namen nennen, weil er Angst vor den Rechten in seinem Stadtteil hat.
Viele Betroffene wollen nicht über Vorfälle sprechen
Die Vorfälle beschäftigen ihn und verändern auch seinen Alltag: "So, wie ich früher durch den Stadtteil gelaufen bin, also ohne mich umzuschauen, das mache ich nicht mehr." Er befürchtet weitere Übergriffe von Rechtsextremen. Bereits offen über diese Vorfälle zu sprechen, würde einen zur Zielscheibe machen, erklärt der junge Mann. Das ist auch ein Grund, warum viele Betroffene nicht über ihre Erlebnisse sprechen wollen.
Angriff mit Pfefferspray und Schusswaffe auf besetztes Haus
Angriffe hat es auch in Bochum-Hamme gegeben. Hier steht ein von Linken besetztes Haus. Beim ersten Angriff sprühten die Täter eine Parole mit Bezug zu einem Dortmunder Neonazi ans Haus und brachten Sticker mit rechten Motiven an. Außerdem sollen sie Steine geworfen haben.
Den zweiten Vorfall hat Hausbesetzer Tom, so möchte er genannt werden, miterlebt. Er war Ende März nachts in dem besetzten Haus. Plötzlich hörten Tom und andere Besetzer Lärm im Garten. Als sie nach draußen gehen, um nachzusehen, sollen Vermummte einem seiner Freunde Pfefferspray ins Gesicht gesprüht haben. Ein anderer Angreifer soll sogar eine Schusswaffe gezogen haben.
"Dann sind wir zurück ins Haus und haben uns da verbarrikadiert", erzählt Tom. Von draußen hörten sie noch Schreie: "Wir bringen euch um." Wenige Minuten später ist die Polizei vor Ort und stellt unter anderem einen "SS"-Schriftzug fest.
Gruppe aus Dortmund im Verdacht
Die Besetzer vermuten hinter dem Vorfall die Gruppe, die auch für die Bedrohungen und Angriffe in Dortmund verantwortlich sein soll. Auch, weil sich die mutmaßlichen Täter auf sozialen Netzwerken mit Videos und Fotos des Vorfalls brüsten.
Es soll sich um bekannte Dortmunder Neonazis, aber auch junge Männer mit Migrationshintergrund handeln. Einer der führenden Köpfe soll Serkan B. sein. Er hat nach Zeugenaussagen mehrfach versucht, junge Menschen in Dortmund zu bedrohen.
Sozialwissenschaftler sieht neue Entwicklung im Rechtsextremismus
Den Sozialwissenschaftler Professor Dierk Borstel von der Dortmunder Fachhochschule überrascht diese neue Allianz aus Neonazis und Menschen mit Migrationshintergrund nicht: "Da entwickelt sich ein neues Milieu, wo ein Teil deutscher Rechtsextremismus mit drin ist, aber auch türkischer und anderer Rechtsextremismus." Das seien häufig Menschen, die in der Gesellschaft ähnliche Erfahrungen gemacht hätten: Wenig Erfolg in der Schule, keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt, Ablehnung durch die Gesellschaft.
Darauf würden diese Gruppen mit Idealen von "Stärke, Männlichkeit und Gewalt" reagieren und merken, dass das Gemeinsame größer sei als der Rassismus, der die Gruppen getrennt hätte, so Borstel.
Man müsse in solchen Milieus vor allem mit Prävention arbeiten, aber natürlich auch Grenzen setzen, wenn es zum Beispiel um Gewalt geht, so der Sozialwissenschaftler. Dazu brauche man aber einen geschärften Blick auf die neuen Entwicklungen und nicht ausschließlich auf den "deutschen Rechtsextremismus".
Polizei untersucht Zusammenhang zwischen Vorfällen
Die SoKo "Rechts" der Dortmunder Polizei untersucht inzwischen, ob es mögliche Zusammenhänge zwischen den Vorfällen in Bochum und in Dortmund gibt. Auch die Gruppe, die laut Paul und Tom dafür verantwortlich sein soll, ist im Fokus der Ermittler.
Die Polizei schreibt auf Anfrage: "Die Polizei beobachtet zurzeit eine sehr kleine Szene aus bereits bekannten Mehrfach- und Intensivtätern, welche mit Einzelpersonen aus dem rechtsextremistischen Milieu sympathisieren. Die Personen verstehen sich als "Anti-Antifa"." Also als die, die gegen Antifaschisten vorgeht.
Und auch Serkan B. scheint eine Rolle zu spielen: Die Ermittler weiter: "Die Polizei bezieht in ihre Ermittlungen einen bereits bekannten Intensiv- und Mehrfachtatverdächtigen ein, der Kontakte zu einzelnen namentlich bekannten Personen mit Bezügen zum organisierten Rechtsextremismus und zu Kampfsport hat."
Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, BackUp NRW, beobachtet die Vorfälle mit großer Sorge: "Die Täter sind zum Teil wegen verschiedener Körperverletzungsdelikte vorbestraft und gehen mit äußerster Brutalität vor." Eine neue Qualität der Gewalt lasse sich insbesondere in den Überfällen auf das Haus in Bochum erkennen.
Über dieses Thema haben wir in der Lokalzeit aus Dortmund im TV und im Radio berichtet.