"Es gibt ein Rassismusproblem im Gesundheitssystem"

Stand: 09.08.2022, 17:33 Uhr

Bisher gibt es nur wenige Studien zum Thema "Rassismus im Gesundheitswesen", doch Betroffene berichten von zahlreichen Vorfällen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes etwa sagt: Jeder vierte Befragte hat schon Diskriminierung im Bereich Gesundheit und Pflege erfahren.

Ärzte in Deutschland haben sich dem Wohl ihrer Patienten verschrieben – müsste man meinen. Aber verschiedene Betroffene erzählen: Dem ist nicht immer so. Hautfarbe, Herkunft, Name: Sie sind in Deutschland auch heutzutage noch Gründe dafür, dass ein Mensch mit Migrationsgeschichte anders behandelt wird, wenn er zum Arzt geht.

"Die Ärztin sagte: ´Mit ihrer Hautfarbe habe ich keine Erfahrungen.´ Und das habe ich dann wirklich persönlich genommen. Ich sagte: ´Sie haben Medizin studiert - und das für alle. Es müsste auch in Ihren Aufgabenbereich fallen, dass Sie wissen, was da los ist.´" Daphne, betroffene Patientin
Rassismus im Gesundheitswesen | Bildquelle: WDR

Das, was Daphne* erlebt hat, ist kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr wurden erstmals Rassismuserfahrungen von Schwarzen Menschen im Gesundheitswesen zusammengetragen. Im Afrozensus haben zwei Drittel der Befragten angegeben, dass Ärzte ihre gesundheitlichen Beschwerden nicht ernst nehmen würden. Unter anderen hat das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) die Online-Befragung mit 6.000 Teilnehmenden durchgeführt.

"Ich wurde von der Fachärztin damals abkassiert mit den Worten: Du kennst doch diese Leute, die übertreiben etwas. Gib der ein moderates Schmerzmedikament." Nabard Faiz, Assistenzarzt
Nabard Faiz, Assistenztarzt am Maria Hilf Krankenhaus in Bad Neuenahr | Bildquelle: WDR

Auch Ärzte wie Nabard Faiz bestätigen, dass Rassismus ein Problem im Gesundheitswesen ist. Faiz erzählt dem WDR von seiner Ausbilderin, die eine Frau mit Kopfbedeckung ohne entsprechende Untersuchung nach Hause schicken wollte. Auf Bitten von Faiz gab es letztlich eine Röntgenaufnahme und es kam heraus: Die Patientin mit Kopfbedeckung hatte mehrfache Brüche erlitten und musste operiert werden.

Zu wenig valide Daten in Deutschland

Wir haben – anders als die USA etwa – viel zu wenige Daten und Untersuchungen dazu. Was auch daran liegt, dass es zu wenige Beschwerdestellen an Krankenhäusern gibt, die wiederum die rassistischen Vorfälle nicht dokumentieren. Weder bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft, noch beim Ärzteverband Marburger Bund. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, seit kurzem unter der Leitung von Ferda Ataman, führt eine neue Studie zum Thema durch, deren Ergebnisse sie im nächsten Jahr veröffentlichen wird.

"Der Marburger Bund ist in seiner praktischen Arbeit jeden Tag darum bemüht, dass Ausgrenzung und Diskriminierung keinen Platz im Gesundheitswesen haben." Marburger Bund, Mail an WDR

"Es gibt ein Rassismusproblem im Gesundheitssystem. Wir wissen noch zu wenig über die Wirkungszusammenhänge. Also wie das eigentlich in den Routinen, Verfahrensweisen und Institutionen der Gesundheitsversorgung funktioniert", sagt auch Cihan Sinanoglu vom DeZIM dem WDR. Auch da arbeite man aktuell an einem nationalen Rassismus-Monitor. Deshalb fordert der Sozialwissenschaftler: "Es braucht erstmal eine rassismuskritische Ausbildung aller Mediziner:innen und des Pflegepersonals."

Cihan Sinanoglu vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung | Bildquelle: WDR

Auch sprachliche Barrieren führen zu Problemen

Die Sprache ist ein weiterer Grund für Schwierigkeiten. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) fordert deshalb ein Anrecht auf Dolmetscher. Denn Ärzte würden bei Menschen, die schlecht Deutsch sprechen, gelegentlich die Behandlung ablehnen und sie dazu auffordern, einen Sprachmittler mitzubringen. Begleitpersonen aus dem persönlichen Umfeld der Ratsuchenden würden sie aber oft nicht akzeptieren, da es ein fachlicher Dolmetscher sein müsse.

„Kultursensibler Umgang“ wichtig

Eine allumfassende Lösung des Problems gibt es bisher nicht. Die UPD aber hält etwa Beschwerde-Berichte von Patientinnen und Patienten fest. Zudem schult sie ihre Mitarbeiter im sogenannten "kultursensiblen Umgang mit Patienten". Und eine Forderung der Betroffenen selbst ist genau dies: Das medizinische Personal sollte flächendeckend und strukturiert in rassismuskritischem Verhalten geschult werden, am besten gleich in der Ausbildung. Ein positives Beispiel dafür ist die Uniklinik Köln: Der sogenannte „kultursensible Umgang mit Patienten“ ist hier verbindlicher Teil des Studiums.

*Name von der Redaktion geändert