Für einen landesweiten Probealarm wurden in Nordrhein-Westfalen am Donnerstag fast 5.600 Sirenen getestet. Auch die Warn-Apps wurden einbezogen. Im vergangenen März war der sogenannte Warntag wegen des Ukraine-Kriegs verschoben worden. Ein bundesweiter Warntag findet in diesem Jahr am 8. Dezember statt.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) löste die Sirenen in Essen auf der Hauptfeuerwache aus. Er nutzte den Auftritt für eine Kritik an der Bundesregierung: Die lasse das Sonderförderprogramm Sirenen in diesem Jahr auslaufen. Diese Entscheidung torpediere die Anstrengungen der vergangenen Jahre.
Reul: Verhalten bei Notfällen soll jeder beherrschen
Beim Probealarm gehe es nicht nur um einen Funktionstest der Sirenen, erläuterte der Innenminister in Essen: Zusätzlich solle die Bevölkerung sensibilisiert werden und die Sirenentöne einordnen können. "Unser Ziel ist, dass jeder lernt, wie er sich bei Unglücks- oder Notfällen zu verhalten hat", sagte Reul.
Die europäische Sicherheitsordnung sei erschüttert. "Wir können nicht mit Sicherheit sagen, was in der Zukunft passiert - oder was nicht. Aber wir können uns vorbereiten", sagte Reul. Das sei keine Hysterie oder Panikmache, sondern eine rationale Notwendigkeit. Es gehe beim Warntag aber vor allem um Unwetter, Großbrände und Naturkatastrophen. Die Hochwasserkatastrophe im vergangenen Sommer habe vor Augen geführt, wie wichtig das Thema Warnung sei.
Katastrophenschützer: Wenige kennen Bedeutung der Signale
Dass die Bevölkerung besser auf eine "echte" Katastrophenlage vorbereitet werden muss, ist auch die Ansicht von Uwe Krischer, Landesbeauftragter für Bevölkerungsschutz beim DRK-Landesverband Westfalen-Lippe. Ein Großteil der Bevölkerung könne die verschiedenen Sirenensignale gar nicht auseinanderhalten, sagte Krischer am Donnerstag dem WDR. "Damit verpufft natürlich diese Möglichkeit der Warnung."
Aber auch wenn sich dieses Wissen nicht so schnell verbreitet, wie es wünschenswert wäre, so Krischer, seien Sirenen ein wichtiges Instrument des Katastrophenschutzes: "Die Sirene soll zukünftig eigentlich nur noch eine Weckfunktion haben." Es genüge auch, wenn die Menschen wissen, dass sie im Alarmfall Radio oder Fernsehen anschalten sollten, oder sich über die Warn-Apps über die Gefahrenlage informieren.
Wenig Verbesserung in den Systemen seit der Flutkatastrophe
Nach der Flutkatastrophe waren zahlreiche Verbesserungen in den Warnsystemen versprochen worden: Bessere und schnellere Infos per Warn-App – und ein zügiger Ausbau von "Cell Broadcast“ - Warnmeldungen, die direkt auf die Handys der Bevölkerung in einer betroffenen Region gehen. Viel passiert ist aber nach WDR-Recherchen nicht.
Eine abschließende Bilanz zum landesweiten Probealarm gibt es noch nicht. In der WDR-Community und den sozialen Medien melden viele Nutzerinnen und Nutzer, dass auch bei diesem Test nicht alles funktioniert hat. So sollen zum Beispiel in Münster-Wolbeck, Essen-Werden und Ratingen-Ost keine Sirene zu hören gewesen sein. Auch die Warn-Apps hätten nicht überall funktioniert oder die Meldungen verzögert angezeigt.
Trotz neuer Sirenen: Alarm noch nicht flächendeckend möglich
Andere User melden aber auch, dass sie im Vergleich zum letzten landesweiten Probealarm Verbesserungen bemerkt haben. Demnach sollen die Sirenen auch in den Gummersbacher Stadtteilen zu hören gewesen sein. Das sei in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen.
Seit der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer hat das Land rund 410 neue Sirenen in Betrieb genommen. Waren es vor einem Jahr noch 5.184 landesweit (Stand 20.07.2021), seien es nun 5.594 (Stand 05.09.2022). Weitere sollen folgen.
Bis heute ist nicht in allen Orten ein Sirenenalarm möglich, weil die Anlagen in den zurückliegenden Jahren teilweise abgebaut oder nicht mehr in Stand gesetzt wurden. "Viele Sirenen" befänden sich gerade noch im Aufbau. "Aufgrund der hohen Nachfrage" gebe es aber derzeit sehr lange Lieferzeiten, was den Ausbau des Sirenennetzes in NRW verzögere.
Die Warntöne zum Anhören:
Land empfiehlt "Warnmix"
Auf weitere Nachfrage verweist das NRW-Innenministerium auf die Kommunen: Die konkrete Warnung und auch die Gefahrenabwehr seien in NRW eine kommunale Aufgabe. "Die Aufgabenträger der Kommunen entscheiden demnach selbst darüber, wie sie die Bevölkerung in ihrem Aufgabenbereich warnen." Das Land empfehle einen "Warnmix" - möglichst viele unterschiedliche Warnmittel, die parallel genutzt werden sollen, um die Bevölkerung bestmöglich zu erreichen.
Zu den weiteren Warnmitteln gehören auch die Warn-Apps NINA und KATWARN. Beim bundesweiten Warntag 2020 hatte es allerdings mehrere Pannen mit diesen Apps gegeben. So kam die angekündigte Gefahrenmeldung erst mit einer guten halben Stunde Verspätung auf den Smartphones der Nutzer an. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn erklärte diese Panne im Nachhinein mit der zeitgleichen Auslösung einer Vielzahl von Warnmeldungen.
Im Dezember: Alarm mit neuer Technik
Der Probealarm am Donnerstag in NRW war eine Art Generalprobe. Am 8. Dezember gibt es noch einen Testalarm, und zwar nicht nur NRW, sondern bundesweit. Dann kommt auch eine neue Technik zum Einsatz: Das sogenannte "Cell Broadcasting" im Mobilfunknetz. Diese Technik der Mobilfunkanbieter sorgt dafür, dass sämtliche Handys in einer Region Warnmeldungen anzeigen und einen Ton abspielen – ganz egal, ob man eine App dafür installiert hat oder nicht. Auch das ist eine Lehre aus der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer.