Gut drei Jahre ist es her, dass sich Städte in einer Initiative zusammen fanden, die innerorts ein flächendeckendes Tempo 30 forderte. Die Kommunen wollten künftig selbst entscheiden und sich nicht länger von der Straßenverkehrsordnung ein generelles Tempo 50 diktieren lassen, vom den sie nur mit einiger Begründungsakrobatik Ausnahmen beantragen konnten: vor Schulen und Kitas etwa oder vor Seniorenheimen - und in reinen Wohngebieten.
Inzwischen zählen 1.093 Mitglieder aus ganz Deutschland zur Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden", darunter sind rund 160 Kommunen aus Nordrhein-Westfalen. Köln, Düsseldorf und Dortmund sind ebenso dabei wie Aachen, Münster, Siegen oder Wuppertal. Die Unterstützung für Tempo-30-Zonen geht quer durch die Parteien.
Neues Gesetz gibt mehr Spielraum
Am Freitag haben nun Bundestag und Bundesrat nach langem Hin und Her beschlossen, dass die Städte mehr Kompetenzen für die Einrichtung neuer Tempolimits erhalten, "im Rahmen gewisser Grenzen", wie der grüne NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer feststellt. Das heißt, der Spielraum für solche Entscheidungen von Verwaltungen und Stadträten wird größer. Aber das, was nun beschlossen wurde, geht längst nicht so weit, wie die Initiative es gefordert hatte. Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetages NRW sagt, das sei "bei Weitem nicht der große Wurf, den die NRW-Städte sich gewünscht hätten".
Die Stadt Hilden gehört auch der Initiative an. Deren Beigeordneter Peter Stuhlträger würde gerne auf allen Straßen im Innenstadtbereich Tempo 30 einführen. Wenn Autos langsamer fahren, sagt CDU-Mann Stuhlträger, gleichen sie sich im Tempo den Radfahrern an. Die wiederum könnten dann gefahrlos auf der Straße fahren, was den Fußgängern auf ihren Wegen mehr Platz verschafft. Die gebremsten Autofahrer würden entweder aufs Rad umsteigen, weil das Auto keinen Geschwindigkeitsvorteil mehr bringt oder auf die schnelleren Umgehungsstraßen ausweichen, was wiederum die innerstädtischen Straßen entlastet und den verbleibenden Verkehr flüssiger macht. Soweit die Theorie.
Kein flächendeckendes Tempo 30
Dass solche Ideen mit dem reformierten Straßenverkehrsgesetz möglich werden, ist eher unwahrscheinlich. Ein flächendeckenes Tempo 30 wird nicht kommen. Denn zu dem Reformpaket gehört ein weiteres Gesetz, das auch noch geändert werden muss: Die Straßenverkehrsordnung. Wie genau die Änderungen darin aussehen, wird noch beraten. Sie könnten aber noch vor der Sommerpause beschlossen werden, die Anfang Juli beginnt.
Das neue Straßenverkehrsgesetz ist, juristisch gesprochen, der Rechtsrahmen. Und der lässt es nun zu, dass Gründe, die bisher nicht galten, für neue Tempolimits herangezogen werden können: der Schutz des Klimas etwa, die Gesundheit oder die städtebauliche Entwicklung. Bisher zählten diese Gründe nicht.
Wie bisher müssen auch die Sicherheit und die Flüssigkeit des Verkehrs berücksichtigt werden. Wie schwer die einzelnen Gründe wiegen, darüber werden gewiss auch noch Gerichte entscheiden. Denn es ist kaum zu erwarten, dass die Autofahrer sich ihre bisherigen Privilegien einfach abknöpfen lassen.
Kommunen bekommen neue Argumente
Auf jeden Fall können Tempo-30-Strecken rund um Spielplätze einfacher erlassen werden, auch entlang von Schulwegen mit viel Autoverkehr oder an Fußgängerüberwegen. An solchen Stellen musste bisher eine besondere Gefährdung erst nachgewiesen werden. Am besten taugte dafür ein schwerer Unfall. Soweit muss es jetzt nicht mehr kommen.
Einfacher wird es auch, mehrere bestehende Tempo-30-Abschnitte auf einer Straße zu verbinden, die von Tempo-50-Zonen unterbrochen werden. Voraussetzung: Es dürfen nicht mehr als 500 Meter dazwischen liegen.
Mehr Busspuren, mehr Radwege
Zu den Neuerungen zählt ebenso, dass die Kommunen leichter Radwege und Sonderfahrspuren einrichten können, etwa für Busse oder für Fahrzeuge, die mit Strom oder Wasserstoff betrieben werden. Auch Parkzonen für Anwohner können einfacher eingerichtet werden.
Bis all die Neuerungen in den Städten ankommen, wird es noch eine Weile dauern. Die Verkehrswende nimmt Fahrt auf, ganz langsam.