Rechtsextreme Influencer: Netzwerk in NRW

Stand: 06.09.2024, 12:49 Uhr

Influencer tragen dazu bei, dass ihre rechtsextremen Ideen normalisiert werden. Recherchen zeigen Verbindungen in NRW auf.

Von Michael Trammer und Nadja Bascheck

Mit harmlos wirkenden Bildern von Frauen, die durch Felder laufen oder Zöpfe flechten, präsentiert sich die Gruppe “Lukreta” auf Instagram. “Neue Deutsche machen wir selbst”, heißt es unter dem Foto einer Schwangeren, die auf einer grünen Wiese steht. Nach außen stellt sich die Gruppe als groß dar, doch eine Aussteigerin sagt dem WDR, dass Lukreta eigentlich ein eingeschworener Kreis sei. Zwischen den idyllisch anmutenden Bildern verbreiten die Frauen immer wieder rechtsextreme Forderungen, wie die nach “Remigration” - also Vertreibung. So auch jüngst nach dem Anschlag in Solingen.

Rechte Influencerinnen | Bildquelle: WDR

Als Kopf der Gruppe gilt Reinhild Boßdorf, die häufig für Lukreta spricht. Sie ist die Tochter der AfD-Europaabgeordneten Irmhild Boßdorf und tritt im gesamten deutschsprachigen Raum als Rednerin bei extrem rechten Gruppen und Veranstaltungen auf. Eine Anfrage des WDR zu den politischen Positionen von Lukreta und den Schilderungen zweier Aussteigerinnen beantwortet sie nicht, sondern veröffentlicht diese stattdessen auf X (ehemals Twitter). 

Influencerinnen nutzen Weiblichkeit

“Der Einsatz von Weiblichkeit spielt eine ganz wichtige Rolle, weil es zu einer Selbstverharmlosung beiträgt”, sagt Extremismusforscher Jakob Guhl vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London. Gleichzeitig würden die Influencerinnen eine freundschaftlich anmutende Beziehung zu ihrem Publikum aufbauen, die das Vertrauen in ihre Aussagen stärke, so Guhl. 

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat die Frauengruppe Lukreta bereits seit mehreren Jahren im Blick, denn es handelt sich um eine Nachfolgeorganisation der “Identitären Bewegung”. Ein Grund für die nachrichtendienstliche Beobachtung: Lukreta stellt Migranten pauschal als Gewalttäter dar. Jürgen Kayser, Chef des NRW-Verfassungsschutzes, sagt, seine Behörde sehe Versuche der Szene, rechtsextremistische Themen stärker in den sozialen Medien zu platzieren. “Man sagt auch ganz explizit, dass man  ein Sendefenster  in die Köpfe von jungen Menschen hat”, so Kayser. Außerdem sei eine Professionalisierung zu beobachten.

Rechte Influencer-Netzwerke | Bildquelle: WDR

Das zeigt sich auch bei dem Netzwerk um Lukreta. Die YouTuberin Charlotte Corday, die immer wieder als Gesicht der Gruppe auftritt, schaltet beispielsweise Werbung von mehreren Firmen und Produkten. In einem Podcast gibt sie an, dass sie von ihrer Tätigkeit als Influencerin lebe. Sie wirbt beispielsweise für ein Audioportal, das Zusammenfassungen u.a. rechtsextremer Bücher zur Verfügung stellt. Der Inhaber ist ein rechtsextremer Digitalstratege, der sich den Erfolg der AfD auf TikTok zuschreibt. Im Zuge einer verdeckten Recherche forderte Corday 300 Euro pro Einblendung in ihren Videos. Eine Anfrage des WDR ignoriert sie.

 Verbindungen zu Krefelder Magazin

Auch Reinhild Boßdorf hat einen YouTube-Kanal. Zudem schreibt und podcastet sie als Kolumnistin für das Krefelder Magazin Krautzone. Krautzone wiederum schaltet Werbung bei anderen Influencern und ist tief in der Influencer-Szene verstrickt. Die Autorenschaft des Krefelder Magazins vertritt eine eindeutige politische Ausrichtung: Unter anderem schreibt ein Neonazi, der gleichzeitig an der ukrainischen Front kämpft, als Kriegsreporter. Ein anderer Autor ist für politische Gewalttaten verurteilt. Auf Anfrage schreibt Krautzone dem WDR: Jeder sei willkommen.

So auch der Krautzone-Kolumnist Aron Pielka, der ebenfalls YouTube-Influencer ist. Wegen seiner Videos wurde er 2020 vom Amtsgericht Köln in zehn Fällen, u.a. wegen Volksverhetzung, zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte Korane verbrannt, antisemitische Stereotypen verbreitet und in seinen Videos waren auch Hakenkreuze zu sehen. Weil Pielka Geldauflagen nicht zahlte und untertauchte, wurde die Bewährung widerrufen, heißt es von der Staatsanwaltschaft Köln.

YouTuber sitzt im Gefängnis

Nun sitzt Pielka in Haft. Seine Community unterstützt ihn weiter online - wie etwa der Rechtsextremist Martin Sellner. Mit KI-generierter Stimme von Pielka posten zahlreiche Accounts neue Videos, deren Inhalte wiederum teilweise strafbar sein dürften. So verbreiten Pielkas Fans nun Gesicht und Name des gegen ihn ermittelnden Staatsanwalts aus Köln und rufen teils zu Racheaktionen auf. Auf Anfrage äußert sich die Staatsanwaltschaft Köln dazu nicht. 

Influencer treten gemeinsam mit Politikern auf

Noch vor wenigen Monaten hatte der Europa-Spitzenkandidat der AfD, Maximilian Krah, Pielka zum Kochen eingeladen. Pielka beteiligte sich unter anderem an TikTok Wahlkampagnen für die AfD, wie das Medienhaus correctiv kürzlich aufdeckte. “Wir sehen immer wieder, dass diese Community der rechtsextremen Influencer versucht, direkt Einfluss auf Wahlentscheidungen zu nehmen”, sagt Jakob Guhl, Extremismusforscher am ISD in London. Eine Studie der Universität Potsdam belegt nun, wie erfolgreich diese Strategie ist. Und die Szene ist gut vernetzt - Männer wie Frauen.

Erst kürzlich trat Pielka etwa mit Corday von Lukreta zusammen im Podcast des rechtsextremen Vordenkers Götz Kubitschek und seiner Frau Ellen Kositza auf. Sie organisieren regelmäßig Veranstaltungen, bei der vor kurzem auch Reinhild Boßdorf anwesend war. Ein Video zeigt sie auf dem Podium, gemeinsam mit dem Dortmunder Politiker und mittlerweile fraktionslosen (vormals AfD) Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich. Hier zeigt sich die Vernetzung - auch über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinweg.

Jung, viral, rechtsradikal? Y-Kollektiv 21.08.2024 29:56 Min. UT Verfügbar bis 19.08.2026 ARD Online Von Michael Trammer, Nadja Bascheck