Landtagsdebatten setzen beim Publikum normalerweise keine größeren Mengen an Adrenalin frei, besonders dann nicht, wenn es um den Landeshaushalt geht. Aber die Haushaltsdebatten Ende 2022 waren alles andere als normal.
Der Plenartag am 20. Dezember begann um 11 Uhr. Genau 26 Minuten bevor die Glocke ertönte, mit der Landtagspräsident André Kuper die Sitzung eröffnete, um 10.34 Uhr, ging allen Landtagsfraktionen ein Antrag von CDU und Grünen zu. Auf sechs Seiten begründeten die Regierungsfraktionen, warum der Landtag eine "außergewöhnliche Notsituation" beschließen möge. Dieser Beschluss, der mit der schwarz-grünen Mehrheit im Eiltempo gefasst wurde, erlaubte dem Finanzminister neue Schulden - trotz Schuldenbremse in der Verfassung. Und zwar fünf Milliarden Euro.
"Dalli-Dalli-Verfahren"
Die Frage, ob diese "außergewöhnliche Notsituation" wegen des Ukrainekrieges und explodierender Energiepreise tatsächlich existierte und ob sie korrekt begründet wurde, beschäftigt in einem eigenen Verfahren den NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster.
Am Freitag reichten die Fraktion von SPD und FDP eine weitere Klage ein. Sie richtet sich gegen den Landtag. Das NRW-Verfassungsgericht soll überprüfen, ob diese 26 Minuten Vorbereitungszeit genügten, um derart weitreichende Beschlüsse zu fassen. Die beiden Fraktionsvorsitzenden Thomas Kutschaty und Henning Höne sind sicher: Dieses "Dalli-Dalli-Verfahren", wie sie es nennen, mit dem der Antrag "durchgepeitscht" wurde, war nicht in Ordnung.
Es wird grundsätzlich
SPD und FDP sehen grundlegende Rechte der Angeordneten und der Fraktionen "massiv" verletzt. "Die Landesregierung hat uns damals die Pistole auf die Brust gesetzt", so SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. "Das lassen wir uns nicht bieten". Für seinen Kollegen Henning Höne von der FDP geht es um "die Grundfesten, wie Verfassungsorgane miteinander umgehen". Die Richter müssen also nicht Minuten zählen, es geht um sehr Grundsätzliches.
Höne beklagt den Trend, je größer und weit reichender die Beschlüsse seien, desto schneller würden die Verfahren durchgezogen. Während in der Corona-Pandemie in Windeseile milliardenschwere Beschlüsse gefasst werden mussten, die von allen Fraktion klaglos mitgetragen wurden, sei der Zeitdruck dieser Notlagenbeschlüsse von Schwarz-Grün selbst verschuldet worden.
Das Gericht wird sich mit der Frage beschäftigen, ob es "zeitliche Mindestuntergrenzen" geben müsste, damit Abgeordnete und Fraktionen angemessen beraten können, erläuterte der Rechtswissenschaftler Hinnerk Wißmann aus Münster. Aus seiner Sicht geht es um "die Tiefen-Grammatik des Verfassungsstaates" und um funktionierende Gewaltenteilung.
Uber das Thema berichtet der WDR am 12.05.23 u.a. in den Hörfunknachrichten und im Westblick auf WDR 5
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