Warum Olaf Scholz kaum auf die NRW-SPD zählen kann

Stand: 19.11.2024, 14:30 Uhr

Bundeskanzler Olaf Scholz verliert an Rückhalt in der eigenen Partei. Die NRW-SPD spielt dabei eine zentrale Rolle. Warum das so ist. Eine Analyse.

Von Martin Teigeler

Gab es so was schon mal? Ein Kanzler verliert kurz vor einer Bundestagswahl rapide an Unterstützung im größten Landesverband seiner Partei. Selbst wenn Olaf Scholz Kanzlerkandidat bleibt, kann er wohl kaum darauf zählen, dass der SPD-Landesverband NRW im Winterwahlkampf 2024/25 geschlossen für ihn rackert.

Spätestens seit dem Statement der beiden Vorsitzenden der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, Wiebke Esdar und Dirk Wiese, vom Montag muss Scholz um die Kanzlerkandidatur kämpfen. "Viel Zuspruch für Boris Pistorius" sehen die beiden einflussreichen MdBs.

Die NRW-SPD ist kein geschlossener Block. Scholz hat auch weiterhin loyale Unterstützer. Aber die Pistorius-Fans werden lauter. Und an der Landesspitze gibt es kaum Politiker, die sich klar für Scholz aussprechen. Landtags-Fraktionschef Jochen Ott sagte am Dienstag der "Rheinischen Post", die SPD habe gleich zwei kanzlerfähige Persönlichkeiten vorzuweisen. Das Statement von Wiese und Esdar sei ausgewogen und greife die Debatten vor Ort auf.

Etliche Genossen fürchten, mit dem unpopulären Scholz bei der Bundestagswahl Anfang 2025 ein Desaster zu erleben. Da nützt es ihm auch wenig, dass sein Verhältnis zur langjährigen Ex-NRW-SPD-Landeschefin Hannelore Kraft früher als gut galt. Das sauerländische SPD-"Urgestein" Franz Müntefering, der Scholz übrigens 2004 als Generalsekretär abberief, sieht kein Vorrecht des Kanzlers auf die Kandidatur.

2019: NRW-Genossen gegen Scholz

2019, Urwahl in der SPD. Von links nach rechts: Olaf Scholz, Klara Geywitz, Norbert Walter-Borjans, Saskia Esken | Bildquelle: WDR

Dass Nordrhein-Westfalen für den früheren Hamburger Bürgermeister ein schwieriges Terrain ist, zeigte sich schon 2019. Damals kandidierte Scholz gemeinsam mit Klara Geywitz für den SPD-Vorsitz. Andrea Nahles war gerade zurückgetreten - übrigens nachdem ein SPD-Hinterbänkler aus NRW - erinnert sich noch jemand an Michael Groß aus Marl? - sie angezählt hatte.

Um Favorit Scholz zu verhindern, beförderten wichtige Politiker aus Nordrhein-Westfalen - darunter auch der damalige Landeschef Thomas Kutschaty - die Kandidatur von Ex-Landesfinanzminister Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Das Duo galt als Hoffnung der Parteilinken gegen "Scholzomat", den ultrapragmatischen Durchregierer.

In der nordrhein-westfälischen SPD waren viele auf Kurs nach links, um die Hartz-Gesetze abzuwickeln, die Scholz einst als SPD-Generalsekretär unter Gerhard Schröder propagiert hatte. Scholz verlor die Urwahl in der SPD - wohl auch wegen NRW.

2022: Kein Rückenwind im Landtagswahlkampf

Trotz seiner Niederlage wurde Scholz Kanzlerkandidat. Sensationell führte er die Sozialdemokraten zu einem Sieg bei der Bundestagswahl 2021. Allein aus der NRW-SPD zogen 49 Abgeordnete in den Bundestag ein. Zu dieser Zeit gab es auch in NRW viele Olaf-Fans. Aber das Motiv war wohl eher Opportunismus als Überzeugung.

Landtagswahlplakat der NRW-SPD im Frühjahr 2022 | Bildquelle: IMAGO/Rene Traut

Die Begeisterung hielt nicht lange an. Im Landtagswahlkampf 2022 litt die SPD-Kampagne in NRW schon unter dem schwierigen Start der Ampel in Berlin. Nach der Wahlpleite gegen Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ärgerten sich einige in der NRW-SPD, dass man Scholz plakatiert hatte.

"Die Landesebene gilt den Befragten als unsichtbar, unwichtig oder gar als „Marionette“ der Bundespolitik", hieß in einer Wahlanalyse der NRW-SPD. Das klang nach wenig Begeisterung für die Ampel im Bund.

2024: Europawahl-Desaster

Wer in den letzten Jahren mit NRW-Sozialdemokraten sprach, hörte bereits ein Murren über Scholz. Zum Kipppunkt wurde dann die Europawahl im Juni 2024. Die NRW-SPD erlebte ein Fiasko - das rote Herne blieb die einzige kreisfreie Stadt landesweit, in der die Genossen noch vorne lagen.

Abhängig vom Bundestrend

Die NRW-SPD, die im kommenden Jahr auch noch Kommunalwahlen zu bestreiten hat, scheint bei ihren Wahlchancen sehr abhängig zu sein von einem positiven Bundestrend. Sie hat nicht die politische Widerstandsfähigkeit anderer SPD-Landesverbände wie Niedersachsen, Rheinland-Pfalz oder Brandenburg, die Landtagswahlen gewinnen konnten, selbst wenn es im Bund unrund lief.

Motor des Anti-Scholz-Momentums in der SPD sind Befürchtungen, mit Scholz im Februar ein ähnliches Wahldesaster zu erleben wie bei der Europawahl. Pistorius als Kanzlerkandidat könnte zumindest das Ausmaß der Niederlage begrenzen, so das Kalkül der politischen Wette, die wohl zumindest ein Teil der NRW-SPD einzugehen bereit ist.