Terrorträume im Aussteigerprogramm - Neue Erkenntnisse im Fall Tarik S.

Stand: 29.10.2023, 17:25 Uhr

Tarik S. soll einen Anschlag auf pro israelische Demos geplant haben. Dem WDR Magazin Westpol liegen interne Unterlagen der Sicherheitsbehörden vor, die nun zeigen, dass der verurteilte Islamist dem Terror nie ganz abgeschworen hat - trotz intensiver Versuche ihn zu deradikalisieren.

Von Boris Baumholt

Es ist Ende August 2018 als Tarik S. im Gefängnis in Duisburg nachts laut "Allahu Akba", "Gott ist groß", über die Flure ruft. Tarik S. sitzt zu der Zeit schon seit gut eineinhalb Jahren in Haft. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte den in Bielefeld geborenen Deutschen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und weiterer Straftaten zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Tarik S. war zwischen 2013 und 2016 in Syrien beim sogenannten islamischen Staat. Nach seiner Rückkehr war S. nicht nur ein Fall für die Justiz, er nahm auch am Aussteigerprogramm Islamismus (API) des NRW-Innenministeriums teil. Regelmäßig muss er Deradikalisierungsgespräche führen.

Rückfall ins Radikale

Er wollte dem Islamismus und der Gewalt abschwören, so erzählt es sein Anwalt Mutlu Günal, der ihn auch schon im Prozess vor dem Oberlandesgericht vertreten hat. "Aus meiner Sicht war er auf einem sehr guten Weg in ein bürgerliches Leben, gemeinsam mit Frau und Kind," sagt er im Interview mit Westpol. Auch die Mitarbeiter im Aussteigerprogramm sehen bei Tarik S. lange Zeit eine positive Entwicklung. Trotzdem beschafft sich Tarik S. im August 2018 in der Haft ein Mobiltelefon von einem polizeilich bekannten islamistischen Gefährder, das belegen Unterlagen der Behörden, die dem WDR Magazin Westpol vorliegen.

Islamische Chats im Gefängnis

Tarik S. chattet aus der Haft heraus mit einem islamistischen Gefährder, bezeichnet darin Andersgläubige als "Taghut", also als "Feinde". Als die Behörden später das Handy sicherstellen, finden sie auch Hinweise zu einem islamistischen Prediger, der als Identifikationsfigur der militanten Islamistenszene gilt. Hat Tarik den Behörden schon damals nur etwas vorgespielt? Hat das das Aussteigerprogramm keine Wirkung gezeigt?

70 Gespräche im Aussteigerprogramm

Fest steht, dass sich die Sicherheitsbehörden intensiv mit Tarik S. beschäftigt haben. Das Ziel war, ihn von Gewalt und seinen Terrorfantasien abzubringen. Insgesamt rund 70 Gespräche im Aussteigerprogramm hat Tarik S. gehabt. Das ist eine Menge, heißt es aus Sicherheitskreisen. Auch nach seiner Haft bleiben die Behörden eng an ihm dran. Er wird unter Führungsaufsicht gestellt.

Kurz vor seiner Freilassung warnt der BND auf Grundlage eines unbestätigten nachrichtendienstlichen Hinweises davor, dass Tarik S. mit einem "Auftrag" durch den sogenannten Islamischen Staat aus Syrien zurückgeschickt worden sein könnte. Schon damals befürchtet der Geheimdienst, dass Tarik S. seine alten Kontakte nach Syrien wieder aufnehmen könnte, so legen es Unterlagen nahe, die dem WDR vorliegen.

Wer ist der Terrorverdächtige Tarik S.? WDR 5 Westblick - aktuell 25.10.2023 02:59 Min. Verfügbar bis 24.10.2024 WDR 5 Von Uli Spinrath

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Haben Frust und Jobverlust Deradikalisierung verhindert?

Als Tarik S. im März 2021 aus der Haft entlassen wird, stellt ihm das Innenministerium NRW trotzdem eine positive Beurteilung aus. Tarik S. will zu dem Zeitpunkt gerne zu Frau und Kind in die Niederlande ziehen, doch die Behörden dort wollen ihn nicht. Auch das positive Schreiben aus NRW hilft nicht weiter. Bei dem jungen Familienvater löst das offenbar Frust aus, heißt es aus Sicherheitskreisen und so berichtet es auch sein Anwalt Günal.

Nach außen kehrt Tarik S. jedoch zunächst in ein normales Leben zurück, findet einen Job, arbeitet im Fitnessstudio und teilt auf seinen Social-Media-Kanälen überwiegend harmlose Dinge. Doch als er im Sommer 2023 seinen Job verliert und seine Beziehung zu seiner Frau in der Krise steckt, scheint er sich wieder ins islamistische und terroristische Milieu zu begeben.

Die Behörden bekommen Mitte September 2023 den nachrichtendienstlichen Hinweis, dass Tarik S. einen Anschlag auf eine Polizeieinrichtung plane. Die Ermittlungen konnten diesen Verdacht jedoch zunächst nicht erhärten.

"Man sieht an diesem Fall, dass wir die Person weiter im Auge hatten, aber bei dieser Person offensichtlich Biografie, Brüche wie eine Arbeitslosigkeit oder die Möglichkeit, dass er nicht zu seiner Freundin in die Niederlande zurückkehren kann, dazu geführt hat, dass er wieder Hass auf den Staat entwickelt und das dann dazu führt, dass er sich wieder - so im Moment zumindest die Beweislage - mit Anschlagsplänen beschäftigt hat." Oliver Huth, Bund der Kriminalbeamten

Tarik S. sucht im Netz nach möglichen Anschlagszielen

Am 17. Oktober sucht Tarik. S. schließlich bei Google nach Begriffen wie "Demos Pro Israel", "Juden in Deutschland" und "Israel-Krieg: Überblick über Demos in NRW am Wochenende". Zwei Tage später tauchen auch Begriffe wie "Jihad", also "heiliger Krieg" in seinem Chatverlauf auf.

Und Tarik S. hat Kontakt zu einem Mann in Idlib in Syrien, der sich "Thomas" nennt. Zu diesem Zeitpunkt scheint S. alles, was er im Aussteigerprogramm mitgenommen hat, wieder über Bord zu werfen. Er ist zurück in seiner islamistischen Welt.

Am 24. Oktober schreibt Tarik S. an "Thomas", dass er seine Wohnung verlassen wolle, um zu kämpfen, auch das Wort Sterben fällt. Nur wenige Stunden später steht ein Sondereinsatzkommando der Polizei in seiner Wohnung und nimmt ihn fest.

Über dieses Thema berichtet der WDR am 29.10.2023 auch im Fernsehen in der Magazinsendung Westpol ab 19:30 Uhr.