Als sie von ihrer Abordnung nach Gelsenkirchen erfuhr, dachte Lehrerin Petra (Name geändert) zuerst an eine Kündigung. Seit 20 Jahren unterrichtet die Pädagogin an einer Grundschule im Kreis Coesfeld. Dass sie nun für zwei Jahre ins nördliche Ruhrgebiet versetzt werden soll, was bis zu anderthalb Stunden Fahrzeit pro Strecke bedeutet, kann sie kaum fassen. Das schaffe sie nicht, sagte sie dem WDR.
Maßnahme gegen Lehrermangel
Abordnungen, wie sie offiziell heißen, sind keine Seltenheit in Nordrhein-Westfalen. Aufgrund des Lehrermangels gibt es in manchen Regionen Bedarf, der mit Lehrerinnen und Lehrern aus anderen Regionen aufgestockt werden kann. In Gelsenkirchen, Bottrop und Recklinghausen ist das der Fall. Die Lehrer aus Coesfeld und Borken werden dort gebraucht - und zwar für bis zu zwei Jahre. Das unterscheidet Abordnungen von Versetzungen, die nicht zeitlich begrenzt sind.
Für Schulministerin Dorothee Feller (CDU) sind Abordnungen eine Maßnahme gegen den Lehrermangel. Den Unmut, den die Abordnung in eine andere Region bei Lehrerinnen auslöst, könne sie verstehen:
Aber in diesen Zeiten müsse man alle Aspekte im Blick haben, meint die Ministerin. Dass Lehrkräfte fehlen, sei nicht nur ein Problem des Ruhrgebiets. Auch im Hochsauerland, im Bergischen Land und in der Region Aachen müssten ähnliche Maßnahmen ergriffen werden. Feller sagt, dies diene einerseits dazu, Lehrkräfte zu entlasten, und andererseits, Kindern das Recht auf gute Bildung zu ermöglichen.
Wechsel auf Zeit
An Schulen wird zunächst gefragt, wer freiwillig die Schule für eine bestimmte Zeit wechseln will. Doch wenn sich niemand findet, wird nach verschiedenen Kriterien geschaut und abgewogen. Für die Bezirksregierung Münster gibt es nach Angaben des Schulministeriums 815 Abordnungen bis Ende des laufenden Schulhalbjahres, wobei nicht die Lehrkräfte gezählt werden, sondern die Abordnungen, die sich zum Teil auf mehrere Schulen beziehen. Für das nächste Schulhalbjahr sind 102 Abordnungen geplant.
In Düsseldorf beträgt die Zahl der Abordnungen aktuell 1084, in Detmold 779. Allerdings liegen keine Vergleichszahlen aus der Vergangenheit vor, weil das Ministerium erst in diesem Jahr mit einer systematischen Erfassung begonnen hat.
Gewerkschaft: Ankündigung zu kurzfristig
Nicht nur Petra, auch ihre Kollegin Kerstin (Name geändert) ist eine der Lehrerinnen, die möglicherweise nach den Sommerferien die Schule wechseln muss. Wohin genau, weiß Kerstin noch nicht. Es wäre schon der zehnte Wechsel in ihrer Laufbahn als Lehrerin. Sie rechne damit, eine Stunde mehr fahren zu müssen. Weil sie generell das Gefühl habe, nicht mehr den Anforderungen gerecht werden zu können, überlege sie nun, sich umzuorientieren.
Simone Flissikowski von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schätzt die Abordnung zum Ende der Sommerferien als zu kurzfristig ein. Es sei wichtig, auf die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern zu achten sowie neue Lehrkräfte für den Beruf zu gewinnen.
Schulministerin Dorothee Feller hatte im Dezember 2022 ein Handlungskonzept vorgestellt, mit dem sie unter anderem die Unterrichtsversorgung verbessern will. In dem Handlungskonzept sind auch Ideen zu finden, durch die der Lehrberuf attraktiver gemacht werden soll und wie mehr Studienplätze geschaffen werden können.