Mildert Schwarz-Grün die Sozialkürzungen ab?

Stand: 28.11.2024, 16:03 Uhr

32.000 Menschen gingen gegen Sozialkürzungen im NRW-Haushaltsplan für 2025 auf die Straße. Nun überprüft die schwarz-grüne Koalition die geplanten Maßnahmen nochmal. Die letzte Entscheidung über die Kürzungen fällt dann der Landtag.

Von Kai Clement und Martin Teigeler

Die schwarz-grüne Landesregierung will ab 2025 durch Haushaltskürzungen im sozialen Bereich 83 Millionen Euro einsparen - so der ursprüngliche Plan. Nun gibt es allerdings Anzeichen, dass die Koalition durch Umschichtungen im Etat womöglich doch weniger streichen könnte als geplant.

Betroffen sind von den ursprünglichen Kürzungsplänen Projekte der Freien Wohlfahrtspflege NRW – also etwa AWO, Caritas und Diakonie. Die Verbände warnen vor dramatischen Folgen. Konkret geht es beispielsweise um die Arbeit von Suchthilfezentren, Familienberatungen sowie Angebote für geflüchtete und ältere Menschen.

32.000 Menschen hatten Mitte November in Düsseldorf gegen die Sparpläne der Landesregierung im Sozialbereich demonstriert. Der Haushalt 2025 steht kommende Woche auf der Tagesordnung im Landtag.

NRW-Arbeitsministerium will Gelder aus Brüssel umschichten

Allein im Etat von Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) sollen bei Projekten der Freien Wohlfahrtspflege eigentlich rund 40 Millionen Euro gestrichen werden. Laumann hatte bei seinem Auftritt auf der Demo in Düsseldorf betont, dass Kürzungen notwendig seien und nicht "weggezaubert" werden könnten. Aber der langjährige Parlamentarier deutete auch an, dass der Landtag als Haushaltsgesetzgeber noch Änderungen an dem Paket vornehmen könnte - dann aber müsse auch erklärt werden, wie die Lücken gestopft werden sollen.

NRW kürzt im Sozialbereich - muss das sein? 18 Millionen. Der Podcast für Politik in NRW 15.11.2024 24:51 Min. Verfügbar bis 14.11.2029 WDR Online

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Einen Weg deutete Laumann bei der Demonstration auf der Rheinwiese selbst kurz an: den Europäischen Sozialfonds (ESF). Damit will Brüssel Beschäftigung und soziale Integration in Europa fördern. Wie das Arbeitsministerium auf Anfrage des WDR mitteilt, sollen ESF-Gelder für NRW umgeschichtet werden, um die Auswirkungen der Kürzungen "abzumildern".

Es geht demnach um knapp elf Millionen Euro, ein Großteil davon soll dem Projekt zur Berufsorientierung ("Kein Abschluss ohne Anschluss") zufließen. Das bedeutet zugleich aber auch, dass die Förderung der Berufseinstiegsbegleitung nicht mehr fortgesetzt oder die Umsetzung des „Zusammen im Quartier"-Nachfolgeprogramms zurückgestellt werde.

Zu diesen elf Millionen kommen dem Ministerium zufolge weitere vier Millionen Euro durch die Umschichtung von Geldern im eigenen Haushalt - sie sollen hälftig überbetrieblicher Ausbildung und der Inklusion von Menschen mit Behinderung zugute kommen.

Weniger Kürzungen auch im Integrationsministerium?

Zuvor hatte die Landesregierung nach Lesart der SPD-Opposition in einer Ergänzungsvorlage zum Haushalt 2025 bereits die Kürzung von etwa 15 Millionen Euro im Bereich des Integrationsministeriums zurückgenommen. Verzichtet werde auf Kürzungen in der sozialen Beratung und Integrationsförderung von Geflüchteten sowie bei Maßnahmen für junge Geflüchtete. Die Mittel sollen nun aus dem nach dem Anschlag von Solingen beschlossenen Sicherheitspaket zur Extremismusprävention kommen.

Gegensätzliche Antworten aus dem Ministerium

Das Integrationsministerium teilte auf WDR-Anfrage dazu unter anderem mit, "sechs Millionen kommen der Beratung von Geflüchteten zugute, verringern also die Einsparungen in diesem Förderbereich".

In einer weiteren E-Mail auf WDR-Anfrage erklärte eine Sprecherin von Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) jedoch wenige Stunden später, die erhöhten Haushaltsansätze dienten "grundsätzlich nicht der Kompensation von titelscharfen Einsparungen, die bisher im Haushaltsplanentwurf 2025 vorgesehen waren".

Grüne und CDU betonen weitere Prüfungen

Grünen-Fraktionsvorsitzende Verena Schäffer | Bildquelle: Oliver Berg/dpa

Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer wiederum sagte der "Neuen Westfälischen" am Donnerstag: "Wir drehen gerade wirklich jeden Euro um und prüfen, ob wir weiteres Geld für den Sozialbereich einplanen können." Die NRW-Fraktion der Grünen betont wie alle anderen Beteiligten: noch ist der Haushalt nicht verabschiedet. Die endgültige Entscheidung falle erst mit der Parlamentsentscheidung kommenden Monat.

"Wir prüfen gemeinsam mit der CDU mögliche Veränderungen im Haushaltsplan im Bereich Soziales unter den finanziell sehr schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen der Landeshaushalt steht." NRW-Fraktion der Grünen

Ein Sprecher der CDU-Landtagsfraktion sagte auf WDR-Anfrage, man sei "auch in diesen Fragen in engem Austausch mit unserem Koalitionspartner". Sollte sich im Zuge der Haushaltsberatungen Konkretes ergeben, werde man "zeitnah darüber informieren".

Wüst rechtfertigt Kürzungsbedarf

Schwarz-Grün hatte die Kürzungen auf den Weg gebracht | Bildquelle: Roland Weihrauch/dpa

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte die Kürzungen in den letzten Wochen verteidigt. "Da sind Dinge notwendig, die schmerzen", sagte Wüst. Er verwies auf Sparzwänge, die aus niedrigen Wachstumsprognosen resultierten.

Die Landesregierung sei gezwungen, Prioritäten zu setzen, so der Ministerpräsident: Es koste eben viel Geld, Energiekosten abzufedern, Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst zu finanzieren, Schulden zu tilgen und in Bildung zu investieren.

SPD verweist auf Milliarden-Rekordhaushalt

Die SPD als größte Oppositionsfraktion im NRW-Landtag forderte Schwarz-Grün zur vollständigen Rücknahme der Kürzungspläne auf. Angesichts eines Rekordhaushalts von mehr als 105 Milliarden Euro für 2025 sei es überhaupt nicht einzusehen, dass Mittel für soziale Dienste nicht aufzubringen seien, sagte SPD-Fraktionschef Jochen Ott.

Zudem verweisen die Sozialdemokraten auf ungenutzte Finanzposten in Milliardenhöhe, die in den Ministerien als sogenannte Selbstbewirtschaftungsmittel zurückgelegt seien.

Unsere Quellen:

  • eigene WDR-Recherchen
  • Schäffer laut "Neue Westfälische"
  • mit Material der Nachrichtenagenturen epd und dpa