Finanznot: Städte und Gemeinden in NRW schlagen Alarm

Stand: 20.08.2024, 16:55 Uhr

Die meisten Kommunen blicken düster in die Zukunft. Das geht aus einer aktuellen Umfrage kommunaler Spitzenverbände hervor.

Von Rainer Striewski

"Wir fahren auf Verschleiß, die letzten Rücklagen schmelzen dahin." Die Vorsitzenden des Städtetages NRW und des Städte- und Gemeindebundes fanden deutliche Worte, als sie am Dienstag vor die Presse traten. Mit im Gepäck hatten Thomas Eiskirch und Christoph Landscheidt die Ergebnisse der ersten Umfrage unter allen Städten und Gemeinden in NRW. Und die fiel aus Sicht der Kommunen dramatisch aus: Fast alle Städte und Gemeinden NRWs bewerten ihre Finanzsituation bis 2028 als eher schlecht bis sehr schlecht. 

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"Kaum eine Stadt oder Gemeinde wird in den nächsten fünf Jahren noch einen ausgeglichenen Haushalt schaffen", erklärten Eiskirch und Landscheidt. Die Ergebnisse der Umfrage seien ein "Alarmsignal". Investitionen in Kitas oder Verkehr wären so kaum möglich. "Das Land darf davor nicht die Augen verschließen", warnten beide, die selbst als Bürgermeister einer Kommune vorstehen. Eiskirch in Bochum, Landscheidt in Kamp-Lintfort.

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Die Ausgaben der Städte und Gemeinden steigen nach Angaben der Kommunalverbände seit Jahren stärker als ihre Einnahmen. Allein die Sozialausgaben hätten sich seit 2009 auf 24 Milliarden Euro verdoppelt. Hinzu kämen Mehrbelastungen durch den Ukraine-Krieg und Corona, die die kommunalen Handlungsspielräume auf Jahrzehnte einschränkten. Zudem seien Aufgaben wie der Ganztag für Grundschulkinder, die Digitalisierung an Schulen oder die Versorgung von Geflüchteten zwar notwendig, aber unterfinanziert.

Umsetzung der Altschuldenlösung

Thomas Eiskirch als Vorsitzender des Städtetages und Christoph Landscheidt als Präsident des Städte- und Gemeindebundes forderten deshalb unter anderem die schnelle Umsetzung der Altschuldenlösung. "Sie muss jetzt kommen. Dafür müssen alle Beteiligten ihre Hausaufgaben machen", betonten beide. Mit der Landesregierung sei man bereits in guten Gesprächen, nun bräuchten sie auch vom Bund klare Signale.

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Allein eine Lösung der Altschuldenfrage würde aber nicht die Finanzprobleme der Kommunen beseitigen, betonten Eiskirch und Landscheidt. "Was wir brauchen, ist eine echte Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung. Dafür muss das Land die Zuweisungen im Gemeindefinanzausgleich erhöhen und den Verbundsatz endlich wieder anheben, im ersten Schritt auf zunächst 25 Prozent." Der Verbundsatz - oder auch Verbundquote - ist der Anteil der Kommunen am Landesanteil an der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer oder auch der Umsatzsteuer und der Grunderwerbsteuer. Aktuell liegt dieser Anteil in NRW bei 23 Prozent.

Opposition wirft Landesregierung Ignoranz vor

Ott: "Verantwortung liegt beim Land" | Bildquelle: dpa / Henning Kaiser

Unterstützung in der Frage erhalten die Kommunen von der SPD im Landtag. Deren Fraktionsvorsitzender Jochen Ott warf der Landesregierung "Ignoranz und Arroganz" vor. "Es ist Aufgabe der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass das kommunale Fundament wieder gestärkt wird und das Leben vor Ort funktionieren kann", erklärte Ott. "Die Menschen spüren und sehen aber, dass das in ihrer Stadt und ihrer Gemeinde immer schwieriger wird. Die Verantwortung dafür liegt beim Land und seinem Ministerpräsidenten", so der Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag.

"Die finanzielle Situation der Kommunen ist besorgniserregend, der Handlungsdruck ist groß", erklärte auch Henning Höne, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion. "Es braucht außerdem einen Paradigmenwechsel im föderalen Staat: Wer bestellt, bezahlt!" so Höne weiter. Auch in der Altschuldenproblematik müsse Ministerpräsident Wüst eine tragfähige Lösung finden.

Die Landesregierung verwies hingegen auf den Bund. Schließlich würden die Ausgaben der Kommunen etwa durch die Tarifabschlüsse im Personalbereich, die Bürgergeld-Reform oder Steigerungen bei der Kinder- und Jugendhilfe steigen. "Ein wesentliches Problemen ist hierbei, dass die Bundesregierung sich an den Ausgaben nicht beteiligt, obwohl sie die Aufgaben von den Kommunen verlangen. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Kommunen in finanzielle Schieflage kommen", erklärte Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU). "Der, der die Musik bestellt, hat sie zu bezahlen."

Scharrenbach: Erhöhung des Verbundsatzes "schwer vorstellbar"

Scharrenbach: "Alle Augen auf Bundesfinanzminister." | Bildquelle: IMAGO/Political-Moments

Einer von den Kommunen geforderten Erhöhung des Verbundsatzes von 23 Prozent erteilte Scharrenbach dabei eine klare Absage. "Der Verbundsatz war in den 80er Jahren mal wesentlich höher, wurde dann von SPD-geführten Landesregierungen stetig reduziert. Die CDU-/FDP-geführte Landesregierung aus der letzten Wahlperiode hat den Verbundsatz erst wieder auf echte 23 Prozent gebracht", so Scharrenbach. Eine Erhöhung sei "angesichts der aktuellen Haushaltslage des Landes derzeit schwer vorstellbar".

In der Frage der Altschuldenlösung würden alle Augen "jetzt auf den Bundesfinanzminister" schauen, erklärte Scharrenbach weiter. "Ehrlichkeit zählt: Ist jetzt Geld im Bundeshaushalt für eine Altschuldenlösung da? Oder nicht? In Nordrhein-Westfalen wollen wir trotz der Haushaltslage einen Kraftakt unternommen, um unsererseits eine ernsthafte Lösung zu ermöglichen", so die Kommunalministerin.

Über das Thema berichten wir am Dienstag unter anderem in WDR aktuell und in der Sendung Westblick auf WDR 5.

Finanznot: Städte und Gemeinden in NRW schlagen Alarm WDR Studios NRW 20.08.2024 00:57 Min. Verfügbar bis 20.08.2026 WDR Online

Unsere Quellen:

  • Pressekonferenz des Städtetages NRW und des Städte- und Gemeindebundes
  • Ergebnisse der Haushaltsumfrage 2024