Wer täglich über innerstädtische Schlaglochpisten fährt, dass das Auto nur so scheppert; wer sich über Radwege quält, die von armdicken Baumwurzeln durchzogen sind; wer sein Kind in eine schimmelige Schule mit ekligen Toiletten schicken muss und wer das alte Schwimmbad oder die Bücherei schmerzlich vermisst, hat einen sehr direkten Zugang zum Thema kommunale Altschulden.
Das Problem betrifft etwa die Hälfte der 361 Kommunen in Nordrhein-Westfalen - und seit Jahrzehnten ist es ungelöst. Fast 21 Milliarden Euro Schulden hatten die Städte und Gemeinden bis Ende 2023 angesammelt. Und viele von ihnen werden es absehbar nicht schaffen, aus eigener Kraft von ihrem Schuldenberg herunter zu kommen. Deshalb rufen sie seit Langem nach Hilfe durch Land und Bund. Sie wollen einen Schuldenschnitt.
Spitzenreiter Oberhausen
Zum Beispiel Oberhausen: Die Stadt steht besonders tief in der Kreide - mit knapp zwei Milliarden. Davon stammen 1,6 Milliarden aus früheren Krediten "zur Liquiditätssicherung", heißt: um laufende Kosten zu bezahlen - und nicht etwa Investitionen. Pro Einwohner sind das 9.381 Euro. Die Stadt könne "bei der jetzigen Finanzstärke, die sie aufgrund ihrer Steuerkraft hat, und dem Finanzierungsbedarf für ihre kommunalen Aufgaben die Altschulden niemals ohne Altschuldenregelung tilgen", schreibt Kämmerer Apostolos Tsalastras dem WDR." Privatleute wäre in dieser Situation ein Fall für die Privatinsolvenz.
In der Höhe der Schulden ist Oberhausen ein krasses Beispiel. Doch der Effekt der Überschuldung ist in allen betroffenen Städten ähnlich: Die öffentliche Infrastruktur leidet, sie kann kaum instand gehalten und vor dem Verfall bewahrt werden. Das betrifft Straßen und Wege, Treppen, Brücken Plätze, öffentliche Gebäude, darunter Schulen und Kitas. Es muss gespart werden, auch beim städtischen Personal, damit der Schuldenberg nicht noch höher wird. Im Haushalt 2024 muss Oberhausen allein für Zinsen 32 Millionen aufwenden. Ab 2025 rechnen alle Kämmerer mit stark ansteigenden Zinskosten..
Wie in vielen Ruhrgebietsstädten gehen Oberhausens Schulden zurück auf wirtschaftliche Strukturbrüche - in diesem Fall ist es der Niedergang von Kohle und Stahl. Große Unternehmen verschwanden und mit ihnen brachen Steuereinnahmen ein. Zurück blieben viele Arbeitslose und in der Folge steigende Sozialausgaben. Um die laufenden Ausgaben bestreiten zu können, nahmen die Städte Kredite auf, die besagten Liquiditätskredite, Jahr für Jahr, immer mehr. Neue Unternehmen mit neuen Arbeitsplätzen konnten die alten Probleme noch immer nicht kompensieren.
Oberhausen steht unter Haushaltssicherung. Das heißt, die Stadt kann nicht mehr frei schalten und walten und muss nach einem strengen Konzept Einnahmen optimieren, wozu auch höhere Gebühren (etwa für Kitas) und Steuern gehören, und sparen, wo es nur geht.
Was könnte eine Altschuldenregelung bewirken?
Vielen Kommunen könnte eine Altschuldenlösung dabei helfen, aus der Haushaltssicherung heraus zu kommen, glaubt Wuppertals Kämmerer Torsten Bunte (SPD). Oder die, die noch nicht unter Haushaltsaufsicht stehen, davor bewahren, hineinzurutschen. Genau das befürchteten nämlich vier von zehn Kämmerern in einer Umfrage aus dem letzten Herbst.
Die von der Landesregierung nun abermals angestoßene Altschuldenregelung hält Wuppertals Finanzchef für "überfallig". Ende 2023 hatte seine Stadt knapp 802 Millionen Euro Schulden. Das ist immer noch sehr viel, pro Kopf sind es 4.352 Euro. Allerdings hat Wuppertal seinen Schuldenberg durch einen konsequenten und durchaus schmerzhaften Sparkurs seit 2016 nahezu halbiert. Damals waren es noch rund 1,5 Milliarden.
Viele ungeklärte Details
Dass ein Schuldenschnitt zu einen massenhaften Neubau von Schwimmbädern, Stadttheatern oder prächtigen Rathäusern führen könnte, glaubt niemand. Allein in Wuppertal wären hunderte Millionen Euro notwendig, um die öffentliche Infrastruktur vor dem weiteren Verfall zu bewahren, sagte ein Stadtsprecherin. "Wir sind schon froh, wenn wir eine Straße reparieren können und nicht sperren müssen".
Oberhausen erhofft sich für den Fall einer Altschuldenregelung "besseren Service für Bürgerinnen und Bürger, passgenauere Unterstützung für Langzeitarbeitslose zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, Investitionen in die Infrastruktur", so Kämmerer Tsalastras.
Entscheidend für die Altschuldenregelung sind aus Sicht der Kommunen die vielen noch nicht geklärten Details. Etwa die Frage, ob sie einen Großteil ihrer Schulden auf einen Schlag loswerden - und dann Bund und Länder die Kredite über 30 Jahre abstottern. Oder ob sie Jahr für Jahr kleinere Beträge erhalten und die Kredite bei ihnen verbleiben. Außerdem rechnet Kämmerer Bunte damit, dass Bund und Länder den Schuldenschnitt an Bedingungen knüpfen, damit die Kommunen nicht erneut in die Schuldenfalle geraten.
Doch mit einer Schuldenübernahme allein ist es aus Sicht der Kommunen nicht getan. Sie sehen sich chronisch unterfinanziert und mit vielen ihrer Aufgaben allein gelassen. Stichworte sind etwa Flüchtlingsunterbringung oder die Anpassung an Folgen des Klimawandels. Aber eine Erleichterung von der Last alter Schulden wäre ein großer Schritt.