Als die Correctiv-Recherchen bekannt wurden, haben sie mich nicht überrascht. Mehr noch: Ich hab mich über die vermeintliche Brisanz gewundert. Seit Jahren ist doch klar - und darüber wird auch ständig berichtet - dass AfD-Funktionäre mal mehr, mal weniger eindeutig mit der Identitären Bewegung kuscheln. Auch wenn die Partei auf dem Papier sagt, es dürfe mit den Rechtsextremisten keine Zusammenarbeit geben, so ist sie doch Alltag.
Die neue Qualität an der Geschichte ist jedoch, dass immer mehr Menschen verstehen, was es bedeuten würde, wenn die völkischen Extreme der AfD sich politisch durchsetzen würden. Und deshalb sind die Demos und der Widerstand gegen solche Ideologien richtig, auch wenn sie schon viel früher hätten passieren können.
Doch ich sage auch eins voraus: Das alles ist in zwei Wochen wieder vergessen, wenn sich in der Politik grundsätzlich nicht bald etwas ändert. Es muss Schluss damit sein stumpf die Themen der AfD zu übernehmen und sich damit bei potenziellen Protestwählern und -wählerinnen anzubiedern. So brauchen wir keine "Allianz der Mitte" in der Migrationspolitik, wie sie Ministerpräsident Hendrik Wüst fordert. Nein, wir brauchen eine Allianz der Parteien in Sozialfragen.
Die Kassen der Städte und Gemeinden sind leer, nicht wegen der Migration, sondern wegen der Schuldenbremse. Nicht die Erhöhung des Existenzminimums, das bei uns Bürgergeld heißt, ist ein Skandal, sondern dass der Mindestlohn in Deutschland so kümmerlich erhöht wurde. Und es ist auch eine Schande, dass laute Protestformen mehr Gehör bekommen als leise. Oder erinnert sich noch jemand an die Demos des Kita- und Pflegepersonals - eine der größten der jüngeren Landesgeschichte? Hier ist Potenzial - denn viele der Betroffenen wählen längst nicht mehr. Und das spielt der AfD noch mehr in die Karten.
Dieser Kommentar läuft unter anderem im Echo des Tages von WDR 5.