Es sind 14 Seiten, die das Besetzungungsverfahren für den Chefposten am Oberverwaltungsgericht (OVG) komplett kippen könnten. Sie stammen vom Jürgen Lorse. Er ist Ministerialrat im Bundesverteidigungsministerium. Lorse ist SPD-Mitglied hat sich als juristischer Fachautor mit den Beurteilungen von Beamten und Beamtinnen befasst.
Für SPD und FDP hat er die entscheidende Beurteilung für die Besetzung eines der höchsten Richterämter in NRW begutachtet. Die Personalie erregt seit Monaten Aufsehen und hat Landesjustizminister Limbach (Grüne) in Erklärungsnot gebracht. Inzwischen beschäftigt die Causa einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags.
Lesmeister hätte ihren Vorgänger befragen müssen
Als Limbach Mitte 2022 ins Amt kam, stoppte er die Besetzung des Postens und eröffnete einer weiteren Bewerberin die Teilnahme am Verfahren. Am Ende wurde diese Bewerberin, eine Abteilungsleiterin aus dem Innenministerium ausgewählt, ein eigentlich schon vorgelegter Personalvorschlag für einen anderen Kandidaten wurde von Limbach verworfen. Die umstrittene Grundlage für die nachgereichte Bewerbung war eine Beurteilung aus dem Innenministerium. Verfasst wurde es von der dortigen Staatssekretärin Daniela Lesmeister (CDU).
Und genau diese Beurteilung ist nach Ansicht des vorgelegten Gutachters rechtswidrig. Lesmeister hätte für Ihre Beurteilung mindestens ihren Amtsvorgänger Jürgen Mathies befragen müssen. Das ergebe sich aus den geltenden Vorgaben für eine Beurteilung.
Lesmeister sei als Vorgesetzte nicht lange genug im Amt gewesen, es waren nur wenige Monate, um eine rechtssichere Beurteilung vornehmen zu können. Das bedeutet, so das Gutachten, dass die Besetzung "an einem nicht heilbaren rechtlichen Mangel leidet, der seinerseits zur – nicht heilbaren – Rechtswidrigkeit des Auswahlvermerks und des nachfolgenden Kabinettsbeschlusses zugunsten der Beamtin führte".
Lesmeister spricht von "exzellentem Eindruck"
Vereinfacht formuliert heißt das: Nach Ansicht des Ministerialrates war die Grundlage des Besetzungvorschlags für die Präsidentenstelle um Oberverwaltungsgericht rechtswidrig.
In der Sitzung des Untersuchungsausschusses am Dienstag spielte das Gutachten zunächst nur eine Nebenrolle. Lesmeister selbst musste sich noch einmal den Fragen der Parlamentarier stellen.
Sie führte aus, dass sie die Beurteilung nach bestem Gewissen ausgeführt habe. Sie habe von der Kollegin einen "exzellenten Eindruck" gehabt. Sie könne das aus ihrer eigenen Zeit als Abteilungsleiterin für die Polizei mit einem von ihr selbst so genannten "360-Grad-Rundumblick" beurteilen. Deshalb habe sie auch ohne die Expertise ihres Amtsvorgängers eine für das OVG-Amt notwendige Beurteilung mit Bestnoten abgegeben.
SPD und FDP fragten immer wieder nach, ob es über eingeholte Informationen bei anderen "verständigen Personen" eine schriftliche Dokumentation gebe. Allerdings wich Lesmeister der Antwort aus - vor allem wenn es um ihren Vorgänger Mathies und Innenminister Herbert Reul (CDU) ging.
OVG muss sich mit dem Fall befassen
Neben dem Untersuchungsausschuss muss sich demnächst auch noch einmal das Oberverwaltungsgericht selbst mit dem Fall beschäftigen. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Klage eines abgelehnten Bewerbers stattgegeben, nachdem das OVG die Besetzung zunächst nicht beanstandet hatte - trotz anderslautender Urteile aus Vorinstanzen.
Mit dem Gutachten und der heutigen Befragung gehen die Oppositionsfraktionen von weitreichenden Folgen aus. "Das gesamte Besetzungsverfahren für die Präsidentenstelle des OVG scheint auf Sand gebaut zu sein", sagte SPD-Politikerin Nadja Lüders abschließend.
Unsere Quellen:
- Untersuchungsausschuss im Landtag
- Gutachten im Auftrag der Fraktionen von SPD und FDP
- Pressemitteilung der SPD-Fraktion
- Eigene Recherchen