34 Schüsse aus mehreren Polizeipistolen - war der Einsatz in Bad Salzuflen, der einen 19-Jährigen querschnittsgelähmt zurück ließ, verhältnismäßig? Darüber streiten jetzt die politischen Parteien im NRW Landtag. Vor allem geht es darum, warum auch in diesem Fall wieder die Bodycams der Einsatzkräfte nicht eingeschaltet waren. Und ob es sinnvoll wäre, sie permanent laufen zu lassen. Fragen und Antworten.
Was genau ist eine Bodycam?
Das Modell, mit dem die Polizei in NRW ausgestattet ist, misst sieben mal neun Zentimeter - ein kleiner, fast quadratischer Kasten also - und wird an der Uniformweste in Brusthöhe befestigt. Die Kamera hat ein Mikrofon und macht Videoaufnahmen in HD-Qualität. Seit Juni 2020 sind die Wachdienste in NRW flächendeckend mit Bodycams ausgestattet. Ein Pflicht, sie zu tragen, besteht aber erst seit April 2023.
Wann kommt sie zum Einsatz?
Genau darüber wird jetzt diskutiert. Laut Polizeigesetz NRW müssen Polizeikräfte im Einsatz selbst entscheiden, wann sie die Kamera einschalten. Sie sollten es demnach in einem "frühen Gefahrenstadium" tun, wenn sich eine Bedrohungssituation ergibt. Die Aufzeichnungen sollen laut Gesetz vor allem zur Deeskalation und zum Eigenschutz der Beamtinnen und Beamten dienen - ausdrücklich nicht gedacht sind sie zur Dokumentation eines Einsatzes.
Nach den tödlichen Schüssen auf einen 16-jährigen Flüchtling in Dortmund im Sommer 2022, als lange Zeit völlig unklar war, ob der Jugendliche überhaupt eine Bedrohung für die Einsatzkräfte darstellte, hatte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) per Erlass angeordnet, dass Polizistinnen und Polizisten zu jeder Zeit eine Bodycam tragen sollen.
Dennoch kommt es offenbar immer wieder zu Situationen, in denen die Kamera nicht aktiviert ist, obwohl die Lage zeitweise bedrohlich ist. Wie zuletzt Anfang Juni in Bad Salzuflen, als die Polizei einen 19-Jährigen Raser in einem Auto verfolgte und ihn schließlich mit 34 Schüssen stoppte und dabei schwer verletzte.
Wäre ein generelles Einschaltgebot der Bodycam sinnvoll?
Darüber wird derzeit gestritten.
Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, kritisiert, dass Innenminister Reul sich dazu nicht klar äußere. Zwar habe er als Reaktion auf den tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund die Tragepflicht angeordnet. Dennoch würden Polizistinnen und Polizisten "weiter mit der Frage allein gelassen, wann die Kameras einzuschalten sind und wann nicht".
Innenminister Reul hatte bisher immer auf die Einschränkung durch das Polizeigesetz verwiesen - "nur in Bedrohungssituationen". Um die Bodycam zur Beweissicherung zu nutzen, müsse möglicherweise die Strafprozessordnung geändert werden, sagte er dem WDR. Das sei sehr kompliziert. Er habe daher am 14. Juni noch einmal "die Polizisten gebeten, die Bodycams so weit wie möglich, so schnell wie möglich, einzuschalten, weil ich glaube, es wäre klug". Ob man das aber zur Pflicht machen müsse, sei "eine ganz schwierige Frage".
Der innenpolitische Sprecher der CDU, Christos Katzidis, plädiert dafür, die Rechtsgrundlage so zu erweitern, dass es möglich ist, schon vor dem Einsatz die Kameras einzuschalten.
Für ein Einschalten "in gefahrengeneigten Situationen" plädiert Polizeiwissenschaftler Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg. Wie beim jüngsten Einsatz in Bad Salzuflen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass in so einer angespannten Situation wie einer Verfolgungsfahrt nicht doch eine Sekunde Zeit ist, um auf den Knopf zu drücken und diese Kamera anzumachen." Es gehe nicht "um alles oder nichts, sondern es geht um eine vernünftige Handhabung dieser Kamera".
Die Gewerkschaft der Polizei NRW ist zwar für die generelle Tragepflicht von Bodycams, hält aber eine Pflicht, sie ständig einzuschalten und alles aufzuzeichnen, nicht für sinnvoll. Er habe Vertrauen, dass die Polizisten selber in der Situation darüber entscheiden können, sagt der stellvertretende Vorsitzende Michael Maatz. Eine Alternative sei aber eventuell ein automatisches Einschalten der Kameras in bestimmten Situationen.
Welchen Vorteil hätten Polizeikräfte vom Einschalten der Kamera?
Nach Ansicht von Polizeiwissenschaftler Behr bieten die Kameras die Möglichkeit, "polizeiliches Handeln transparent zu machen und sicherzustellen, dass es rechtmäßig ist". Auch, um das Handeln des Gegenübers transparent zu machen und somit auch beweissicher festzustellen. "Und zwar auch zum Schutz der Polizeibeamten vor falscher Verdächtigung."
Seit Dortmund wüsste man, "dass die Erzählung der Polizei über solche Situationen eine andere ist als die objektiver Beweismittel. Das bringt die Polizei in Misskredit und schwächt das Vertrauen in die Polizei". Ein objektives Mittel wie die Kamera könne allen Beteiligten nur dienlich sein.
Sollte das Polizeigesetz geändert werden zugunsten eines Dauereinsatzes der Bodycams?
Darauf will sich bislang niemand so richtig festlegen.
"Einer Zweckänderung des Einsatzes der Bodycam muss eine sehr gründliche politische und rechtliche Diskussion vorausgehen", sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Julia Höller. Es gelte, abzuwägen: Zwischen dem Nutzen der Bodycam als Instrument, das für Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Nachgang von Polizeieinsätzen sorgt - und der Tatsache, dass man dafür "eine Ausweitung der polizeilichen Video-Überwachung im öffentlichen Raum in Kauf nehmen würde". Denn die Videoaufnahmen würden in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowohl der Polizistinnen und Polizisten als auch andere Beteiligter eingreifen.
Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion NRW, sagt: "Auch zur Beweissicherung bringt eine Bodycam nichts, wenn sie gar nicht eingeschaltet ist. Der Innenminister macht es sich deshalb viel zu leicht." Auch er regt an: "Wenn die Schusswaffe aus dem Holster gezogen oder der Taser eingeschaltet wird, dann muss auch automatisch die Bodycam angehen." Technisch sei das einfach möglich.
Wäre eine Koppelung von Polizeiwaffen und Bodycam möglich?
Technisch sei das kein Problem, sagt Christian Scherf von der US-amerikanischen Firma Axon, die die Bodycams der Polizei NRW herstellt: Sowohl die Pistole als auch der Taser könnten per Zusatzausrüstung Einschaltsignale an die Kamera senden, sobald sie aktiviert werden. Entweder nur an die Kamera des einzelnen Trägers oder aber an alle Bodycams im direkten Umkreis.